Von Bernd Niquet
Eigentlich ist das Thema ja durch, ich kann es nicht mehr hören, und trotzdem begreife ich anscheinend erst jetzt. Aber so ist das eben, wenn man ausgewiesener Romantiker ist, da glaubt man eben an das Edle, das Ehrwürdige und das Wahre.
Ich danke auf jeden Fall für die vielen Mails, die zur Aktualisierung meines Erkenntnisprozesses sehr viel beigetragen haben. Ich muss heute zugeben, dass ich lange Zeit ziemlich daneben lag. Da dachte ich, das kann man doch dem Guttenberg nicht durchgehen lassen, man kann doch keinen Betrüger in einem Ministeramt haben.
Anscheinend kann man das aber doch. Wie selbst die Konservativen uns heute sagen. Konservative müssen sich heute nicht mehr belehren lassen, was Anstand ist, hat uns ja gerade Frau Merkel gesagt. Und ich Idiot hatte gedacht ..., aber lassen wir das.
Mein Eindruck ist, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen glaubt, dass heute jeder mehr oder weniger ein Betrüger ist, der es bis nach ganz oben geschafft hat. Von daher sollte man dann also nur die schlechten und unbeliebten Betrüger aus dem Amt jagen, die guten und beliebten hingegen können bleiben.
Im Prinzip funktioniert das nicht anders als in der Mathematik. Setze ich einen guten Betrüger zu einem schlechten in Relation, so ergibt sich eine Verhältniszahl, ein Bruch. Und es folgt die Mathematik des Betrugs: Nach den Gesetzen der Bruchrechnung kann ich jetzt nämlich den Betrüger herauskürzen! Und weg ist der Betrug.
So weit das rein Formale, doch warum leben wir eine derartiges Modell tatsächlich?
Ich fürchte, das hat viel mit der Presse zu tun. Früher konnte man die Schweinereien dieser Welt nur erahnen, heute hingegen wissen wir sehr viel und können trotzdem nichts ändern. Das erzeugt wohl einen gewissen Gewöhnungseffekt. Zuerst trinkt man ein Bier pro Tag, dann zwei oder drei – und fertig ist das große Einerlei.
Und andererseits: Wenn man sich einmal anschaut, was der Mensch in den vergangenen fünfzig Jahren aus der Welt gemacht hat, wäre es da nicht ein Wunder, wenn er sich selbst dieser Tendenz der Zerstörung widersetzt hätte? Ich erinnere mich noch sehr gut an die sechziger Jahre. Damals reichte der Durchschnittsfamilie ein Einkommen aus, zudem waren die Jobs sicher, und wer eine gute Ausbildung besaß, wusste, dass er später nicht auf den Strich würde gehen müssen. Damals hatten wir natürlich auch noch keine liberalisierten Märkte.
Dafür besaßen viele Menschen eine rege Phantasie, welche Segnungen ein System weitgehend freier Märkte uns bringen könnte. An eine Strichwirtschaft und eine damit einhergehende identische neue Gesellschaft haben jedoch nur die wenigsten gedacht.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
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