Von Bernd Niquet
Der für mich wichtigste Satz der Woche fiel bereits sehr früh, bezog sich erst einmal nur auf die Vergangenheit und stammt wohl von einem britischen Historiker, der da sagte: Im Grunde genommen begann das Ende des Kommunismus mit dem Unglück von Tschernobyl.
Seitdem bildet dieser Satz den Hintergrund für alles, was ich im Fernsehen sehe. Werden wir nach der Japan-Katastrophe so weitermachen können wie vorher? Ich denke an die Japaner auf ihrer kleinen Insel: Wo sollen sie denn hin? Aber ist nicht die gesamte Welt nur eine kleine Insel?
Ich meine jetzt keinesfalls nur die Diskussion um die Atomkraft. Wäre es jetzt nicht eine gute Gelegenheit, zu erkennen, dass unser gesamtes Wirtschaftsmodell eine Lüge ist? Denn der Großteil unseres Wohlstandes beruht doch ausschließlich darauf, dass die Umwelt heute immer noch als ein weitgehend freies Gut angesehen wird.
Das ist, als würde man eine riesige Fabrik mit Geld bauen, das man von einem Wehrlosen und Rechtlosen geborgt hat, und folglich genau weiß, dass man es nicht wird zurückzahlen müssen. Kein Wunder, dass sich auf diese Weise viele Investitionen rechnen, die sich ansonsten niemals rentieren könnten, wie der ungehemmte Wegwerfkonsum, der ausufernde Tourismus mit Auto und Flugzeug und ganz generell ein Großteil unseres Luxus.
Aber wir wollen ja alle alles haben und trotzdem alles schützen. Das ist jedoch Selbstbetrug. Doch so offensichtlich das auch ist, es wird sich mit Sicherheit nichts ändern. Warum auch? Wenn der Nachbar einen dicken Schlitten fährt, dann will ich auch einen.
Manche Dinge sind hingegen einfach unbegreifbar. Hat denn wirklich niemand daran gedacht, dass bei einer Flutwelle beinahe zwangsläufig jegliche Elektrizität bei Kühlung plus Notkühlung von am Wasser gebauten Kernkraftwerken ausfallen würde? So etwas verstehen doch eigentlich bereits Grundschüler.
Und was hat eigentlich die Tatsache, dass Japan von einer Flutwelle überrollt wurde, mit der Sicherheit unserer Kernkraftwerke zu tun? Wenn sie vorher sicher waren, wie können sie dann plötzlich unsicher sein? Da stimmt doch etwas nicht.
Am Schlimmsten finde ich jedoch mich selbst, dass ich mir gegenwärtig alle halbe Stunde die Liveticker zur Entwicklung des Schreckens in Japan anschaue. Dass ich mich abends gemütlich auf die Couch lege und weiß, mir selbst kann nichts passieren und ich so eine der größten Katastrophen der Nachkriegszeit in HD-Qualität und teilweise sogar mit dramatischer Musikuntermalung geliefert bekomme. Und dass ich mir selbst gegenüber zugeben muss, dass ich das gerne so mache und genieße.
Es ergibt sich dann sogar noch eine völlig neue Qualität, als in einem Nachrichtensender die filmische Rekonstruktion der Stunden des Unfalls von Tschernobyl läuft und gleichzeitig das Laufband die aktuellen Ereignisse und Befürchtungen aus Japan einspielt.
So ist sie, die Welt von heute, das Echte und das Fiktive verschmelzen miteinander wie ein Brennstab mit dem anderen. Hoffentlich hält wenigstens hier der Druckbehälter stand.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
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