Von Bernd Niquet
Ich dachte mir gleich: Das ist ja merkwürdig. Wir waren gerade den einsamen Pfad, auf dem es zur nächsten Bucht geht, entlang gekraxelt, da schaue ich aufs Meer und sehe ein paar hellrot leuchtende Wolken.
Ich wundere mich. So etwas gibt es, ja, aber eigentlich nur im Sonnenuntergang. Doch jetzt ist es erst vier, noch zweieinhalb Stunden bis zum Abendbrot, und danach immer noch zwei Stunden, bis so etwas normal wäre. Die Wolken sind allerdings klein und ausgefasert. Wenn man nicht fotografiert so wie ich, bemerkt man sie vielleicht wirklich nicht.
Ich weiß, dass es Quatsch ist, doch ich denke als Erstes an einen Reaktorunfall. Doch hier auf der Insel gibt es keine Kernkraft. Und Radioaktivität kann man nicht sehen. Also giftige Gase? Doch es ist nichts zu riechen. Die Wolken sind auch viel zu hoch dafür. Ansonsten jedoch ausschließlich tiefblauer Himmel.
Als wir schließlich an der Hotelanlage angekommen sind, sieht es vollkommen anders aus. Eine wie Feuer aussehende, dicke dunkelrote Wolke kommt von Landesinneren an die Küste gezogen. Gleich wird sie vor die Sonne ziehen und die Sonne verdunkeln.
Es ist ein beinahe biblisches Szenario. Das Ende der Welt ist gekommen. So schlimm wird es sicherlich nicht, denke ich, doch es sieht gespenstisch aus. So etwas habe ich noch niemals in meinem Leben gesehen. Ich fotografiere, was der Apparat hergibt. Die anderen Passanten auf der Straße hingegen merken anscheinend gar nichts.
Ich frage in der Rezeption nach, ob es eine Warnung gäbe. Ob sie etwas wüssten. Doch sie wissen nichts. Sie haben auch kein Fenster. Also weiter. Just in dem Moment, an dem die dunkelrote Wolke sich vor die Sonne schiebt, kommen wir am Pool vorbei. So ein Licht habe ich noch niemals gesehen. Es ist wie beim Sonnenuntergang, doch weit intensiver, so, als hätte man beim Sonnenuntergang zusätzlich noch eine Brille mit roten Gläsern auf.
Ich schaue auf die Menschen. Alle Liegen am Pool sind belegt und im Wasser tummeln sich die Menschen. Doch niemand schaut auf. Das kann beinahe nicht sein, denke ich. Doch es ist die Wahrheit.
Weiter zum Strand. Auch hier ist es deutlich dunkler geworden, doch auch hier sehe ich nicht einen einzigen Menschen, der zum Himmel schaut. Das gibt es doch nicht, denke ich: Da machen sich die Leute bei der Kernkraft beinahe in die Hose, doch wenn die Welt dann tatsächlich untergeht, schauen sie nicht einmal auf.
Ich gehe in die Strandbar und frage, ob sie hier etwas wüssten. Nix verstehen. Ich zerre den Ober heraus. Er schaut gelangweilt in den Himmel. Die Wolke hat mittlerweile die Sonne wieder freigegeben und ihre tiefrote Farbe abgeschwächt. Vielleicht Rauch?, sagt er. Er schaut mich an als wäre ich nicht richtig im Kopf und geht wieder an die Arbeit.
Spanier, denke ich. Vielleicht ist das Budget in Madrid explodiert. Doch am Strand sind meistens Deutsche. Abends erfahre ich, dass es im Landesinneren große Waldbrände gegeben hätte. Ich besitze jetzt jedoch eine Vorstellung, wie es kommen könnte, wenn die Welt tatsächlich einmal untergeht:
Da wird nichts von dem passieren, was uns jetzt bereits Angst einjagt. Es wird vielmehr etwas kommen, was niemandem einen Blick wert ist. Und dann macht es zack: Klappe zu, Affe tot.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
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