Von Bernd Niquet
Nirgendwo kann man das Geschehen an den Börsen besser verstehen als bei der Wettervorhersage. Denn hier kann man direkt den Blick in die Daten werfen, was an der Börse nicht möglich ist. In die Bücher der Händler und Makler gibt es für Außenstehende keinen Einblick. Niemand weiß, was da alles für Verkaufsorders zu welchen Kursen liegen. Bei der Wettervorhersage ist jedoch prinzipiell alles öffentlich.
Ich bin ja ein großer Fan des Meteomedia-Messnetzes und schaue mir sehr oft die Daten und Prognosen der einzelnen Wetterstationen an. Und da hat es in der abgelaufenen Woche ein Phänomen wie gegenwärtig an der Börse gegeben.
Die Station, die meinem Zuhause am nächsten liegt, zeigte am vergangenen Samstag für die kommende Woche durchweg gutes Wetter an, viel Sonne und keinen Regen. Für Dienstag tauchte jedoch ein merkwürdiges Phänomen auf: Völlig aus dem Nichts war da für die Nachmittagszeit eine Windböe von 230 Stundenkilometer zu sehen.
Merken Sie als Börsianer etwas? Da hat das mathematische Modell etwas herbeigezaubert, doch kein Mensch hat mehr drübergeschaut. Und so nimmt dann das Unheil seinen Lauf.
Ich bin ganz sicher, dass es an den Börsen genauso gelaufen ist in den vergangenen Wochen. Da hat niemand eine falsche Taste gedrückt. Da ist einfach irgendwo im Datensatz übertrieben worden – und plötzlich haben sich Automatismen ergeben, die niemand mehr stoppen konnte. Natürlich hat die Korrektur an den Börsen eine rationale Grundlage, doch niemals für so ein Ausmaß.
Man muss sich das einmal vorstellen: Eine Windböe von 230 Stundenkilometer. Ich glaube, die heftigsten Windböen, die ich in unseren Bereitengraden jemals erlebt habe, lagen bei Gewitterstürmen im Bereich von 120 Stundenkilometern. 230 Stundenkilometer aus dem Nichts sind also in etwa, als würde man nach 0,2% plus für das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal für das zweite Quartal 20% minus angeben.
An dieser Stelle tritt nun jedoch ein signifikanter Unterschied der Börse zur Wetterprognose zu Tage: Während Börsenprognosen das Börsengeschehen oft 1:1 beeinflussen, hat die Wetterprognose glücklicherweise keinen Einfluss auf das Wetter. (Ansonsten wären wir mittlerweile auch schon alle tot.)
Und so wurden denn aus den 230 km/h vom Samstag am Sonntagmorgen nur noch 170 km/h und am Mittag gar nur noch 70 km/h. Dafür tauchte nun plötzlich für den Mittwoch eine neue Spitze von 170 km/h auf, ebenfalls aus dem Nichts bei Sonnenschein. Bereinigt wurde das erst am Nachmittag. Plötzlich waren alle Windböen verschwunden.
Gut, dass wenigstens hier noch einmal ein Mensch aus Fleisch und Blut einen Blick auf den Datenkranz geworfen hat. Warum gibt es so etwas nur nicht auch an der Börse? Ich fürchte, die Antwort darauf lautet: Weil es dort generell keine Menschen aus Fleisch und Blut mehr gibt.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
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