Von Jochen Steffens
China hat beim Weltwirtschaftsforum in der chinesischen Hafenstadt Dalian, auch Sommer-Davos genannt, angedeutet, daß es sowohl Europa als auch den USA mit neuen Investitionen und dem Kauf von Staatsanleihen zu Hilfe kommen will. Gleichzeitig hören wir von Gesprächen Italiens mit China, bei denen es ebenfalls um Investitionen geht.
Aber das soll natürlich nicht ganz ohne Gegenleistungen geschehen. So fordert China ziemlich offen als Gegenleistung die baldige Gewährung des Status als Marktwirtschaft. Zudem sollen die USA ihren Markt weiter für Investitionen chinesischer Unternehmen öffnen und die Beschränkung für die Ausfuhr der Hochtechnologie nach China aufheben.
Es ist nicht das erste Mal, daß China seine Hilfe anbietet, allerdings, wenn ich richtig informiert bin, das erste Mal derart umfassend. Bisher hat China eher Einzelgespräche mit den jeweiligen Krisenländern gesucht.
China ist seit Jahren schon bemüht, seinen Einfluß in der Welt weiter auszubauen und nutzt selbstredend auch die aktuelle Krise dazu. Allerdings sollte man sich nicht täuschen. China hat auch ein ureigenes Interesse daran, daß die EU und USA nicht in eine tiefe Rezession abrutschen. Die USA ist einer der Hauptabnehmer chinesischer Produkte, und auch die EU ist ein wichtiger Handelspartner. Und darauf ist China auch angewiesen, aus folgenden Gründen:
China hat viele Probleme im eigenen Land. Ein Umstand, der gerade bei der wirtschaftlichen Betrachtung Chinas durch Börsen-Analysten gerne übersehen wird. Da sind zum einen die unglaublichen sozialen Unterschiede zwischen der Land- und der Stadtbevölkerung. Die Landbevölkerung ist immer noch sehr arm. Das liegt daran, daß ungefähr 800 Millionen Menschen zur Landbevölkerung zählen, in dieser Region aber nur 100 bis 200 Millionen Menschen für die Landwirtschaft gebraucht werden.
Landflucht
Die Folge davon ist, daß die Menschen in die Städte ziehen. Doch hier werden sie diskriminiert. Ein Landbewohner kann zum Beispiel nicht ohne weiteres zu einem Stadtbewohner werden und die dortigen Vorteile der sozialen Versorgung genießen. Das führt unter anderem dazu, daß etwa 200 Millionen Menschen in China als unterbezahlte und ausgebeutete Wanderarbeiter arbeiten. Diese wiederum finanzieren mit ihren Überweisungen in die Heimat die Teile der Landbevölkerung, die sich aus oben genannten Gründen nicht mehr selbst versorgen können.
Die chinesische Regierung versucht alles, um diese Diskrepanz aufzulösen, weil sie um die Gefahr der sozialen Unterschiede weiß. So hat sie zum Beispiel riesige Infrastrukturmaßnahmen eingeleitet, um Arbeitsplätze auf dem Land zu schaffen. Auch die wirtschaftliche Situation der Menschen in China hat sich in den vergangenen zehn Jahren sowohl auf dem Lande als auch in der Stadt erheblich verbessert. Und aus diesem Grund vermuten die meisten Politologen, daß derzeit größere Aufstände wie in Nordafrika in China nicht zu erwarten seien.
Doch ohne Frage braucht China, um die Bevölkerung weiter zu beruhigen, eine funktionierende Weltwirtschaft. Sollte diese einknicken und sollten die westlichen Industrieländer in eine lange Rezession abgleiten, wird es auch für China schwierig werden. Eine länger dauernde Rezession in China würde die ohnehin schon angespannte soziale Situation dramatisch verschlimmern. Und das ist das eigentliche Gefahrenpotential. Wenn ein zu großer Anteil der Menschen in zu großer Armut leben muß, werden sie irgendwann aufbegehren.
Noch werden und wurden die Aufstände unterdrückt. Aus diversen, nicht sonderlich zuverlässigen Quellen (das nur als Hinweis) geht hervor, daß es in China pro Jahr um die 70.000 Aufstände gibt. Viele allerdings in den ländlichen Gebieten gegen Korruption und Mißwirtschaft.
Aber auch gerade durch die Aufstände in Nordafrika haben Regimekritiker in China wieder etwas Aufwind bekommen. In Anlehnung an die Jasmin-Revolution in Tunesien wird dort mittlerweile das Codewort „Jasmintee“ benutzt und es kam immer wieder zu Demonstrationen. Mittlerweile ist auch das Suchwort „Jasmin“ im chinesischen Internet unterdrückt. Und die Regierung diskutiert, wie sie die Ordnung besser wiederherstellen kann.
Fazit: Für China sind die Hilfsangebote an die EU und die USA sicherlich in vielfacher Hinsicht von Nutzen. Hier geht es nicht nur um die Ausweitung der Macht Chinas in der Welt, sondern auch ganz klar um innenpolitische Erwägungen. Und das sollte man bei der Analyse dieser Angebote durchaus beachten. Die Regierung in China hat die Sorge, daß das, was in Nordafrika geschehen ist, irgendwann auch China treffen wird.
Und so hängt die gesamte Welt zur Zeit sehr voneinander ab. So kritisch man das auf der einen Seite sehen kann, so gut ist es auf der anderen. Denn den Verantwortlichen ist offensichtlich klar, daß momentan niemand ohne den anderen kann. Und deswegen wird China auch weiterhin amerikanische Staatsanleihen kaufen und natürlich auch in Europa helfen. Denn rutscht Europa in eine massive Krise, wird sich die USA dieser nicht entziehen können und das wird wiederum dazu führen, daß auch Chinas Wirtschaft einbricht.
Wir haben es makroökonomisch also mit dem Blinden, dem Einarmigen und dem Lahmen zu tun. Und Sie dürfen sich nun aussuchen, wer was ist… .
Jochen Steffens ist Chefredakteur des kostenlosen Newsletters "Steffens Daily". Weitere Informationen finden sie hier.