Von Bernd Niquet
Irgendwie herrscht da ein großes Ungleichgewicht, jedenfalls bei mir. Die großen Sachen sind mir eigentlich im weitesten Sinne klar, die philosophischen Fragen, der Sinn des Lebens, das Funktionieren der Wirtschaft, die Weltpolitik. Im Kleinen jedoch, da verstehe ich oft genug gar nichts.
Nehmen wir nur den Umstand, dass Sie jetzt diese Kolumne lesen können. Ich bin ja seit Ewigkeiten Kunde bei T-Online. Weil über T-Online jedoch so viel Spam versandt wird, haben einige Adressaten im Netz eine generelle Sperre für sämtliche Mails von T-Online eingerichtet. Das ist in etwa so, als dürfe man mit einem Volkswagen nicht mehr auf den Parkplatz fahren. Glücklicherweise gehört Instock.de nicht zu diesen Ochsen.
Andere Idiotien gefallen mir da weit besser. Manche sind sogar lebensrettend. Würde beispielsweise die deutsche Brauindustrie ihr Bier nicht immer noch wie vor hundert Jahren in schweren Halbliter-Glasflaschen anbieten, sondern in praktischen 1,5-Liter-Plastikflaschen, hätte ich mich vielleicht schon längst totgetrunken.
In Probleme geraten könnte jetzt auch der Sender RTL, weil er durch seine doofen Mitmach-Shows mittlerweile eine so hohe Sehbeteiligung ausweist, dass er an die im Rundfunkstaatsvertrag gesetzte Grenze der unzulässigen Meinungsmacht stößt, die bei einem Marktanteil von 30 Prozent liegt.
Parallel dazu sind die Sehquoten bei allen politischen Magazinen in allen Sender deutlich rückläufig. Irgendwie geht da etwas verquer mit der Meinung.
Die Meinung der Ratingagentur Standard & Poor´s hat dagegen schon seit jeher Meinungsmacht, doch dass man hier gerade in dem Moment Italiens Bonität heruntersetzt, in dem dort das lange blockierte Spargesetz beschlossen wird, versteht sicherlich kaum mehr jemand. Und dann klettert auch noch parallel dazu am selben Tag die Börse heftig in die Höhe.
Das hat vielleicht mit der Schwarmintelligenz zu tun, könnte man mutmaßen. Gerade habe ich gelesen, wie man ursprünglich auf diese Theorie gekommen ist. Die Basis stellt das berühmte Ochsen-Beispiel aus dem Jahr 1906 dar. Da konnten die Besucher auf einer Nutztierschau im britischen Plymouth raten, wie viel Fleisch ein Ochse nach dem Schlachten auf die Waage bringt.
Und obwohl die Mehrheit der Besucher keine Fachleute waren und viele sich erheblich irrten, wich der Mittelwert der Schätzungen um weniger als 1 Prozent vom tatsächlichen Gewicht des Ochsenfleisches ab.
Chapeau!, denke ich. Und die Börsen funktionieren heute noch immer nach diesem Ochsen-Prinzip. Und die Medien auch, die meisten jedenfalls. Hier muss man allerdings die Ochsen vorher abziehen.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
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