Von Bernd Niquet
Überall konnte man in den vergangenen Wochen Thesen bezüglich der Unfähigkeit der europäischen Politik lesen, die Krise zu meistern. Und ob die Entscheidungen vom Mittwoch bereits der große Wurf sind, dazu will sich die Presse am Donnerstag, als ich diese Kolumne schreibe, noch nicht durchringen. Mir geht es aber auch gar nicht um die Aktualität, sondern ums Generelle.
Ist es richtig, der Politik ein zögerliches und unkontrolliertes Vorgehen vorzuwerfen, ein Hin und Her, ein Hickhack, ein Dauerstreit, einen Konflikt ohne Führer? Meine Antwort auf diese Frage lautet: Was in aller Welt erwartet man eigentlich?
Vor allem: Was erwarten eigentlich Wirtschaftsjournalisten, die in der Regel bei allem Nicht-Trivialen sofort abschalten und daher nur Triviales schreiben?
Ich muss bei der aktuell so gängigen Politikerschelte, ich kenne tatsächlich niemanden, der sich nicht über die Politik und ihr vermeintliches Unvermögen ereifert, immer an die sonstigen und normalen Probleme denken, die uns so quälen.
Um eine einfache Schulreform umzusetzen, brauchen wir in Deutschland aufgrund der divergierenden Meinungen eine Generation. Und eine weitere, um zu begreifen, dass man Unsinn beschlossen hat und diesen schließlich wieder außer Kraft zu setzen.
Bahnhöfe lassen sich fast nicht mehr bauen, und den Drogenhändlern und Kriminellen den Boden zu entziehen, schaffen wir sogar überhaupt nicht. Und selbst um in einer unbeleuchteten Brückenunterführung eine Beleuchtung zu installieren, braucht es von der Feststellung der Notwendigkeit über die Berücksichtigung der Einsprüche bis zur Genehmigung und Bereitstellung des Geldes meistens Jahre. Und dann ist mit dem Bau noch nicht einmal begonnen worden.
Und jetzt, in einer der größten Krisen Europas, in der es um mehr Geld geht, als wir alle zusammen besitzen, in der es sich um die wirtschaftliche Zukunft unseres Kontinents und die finanziellen Verhältnisse unserer Kinder und Kindeskinder dreht, erwartet man plötzlich, dass sich alle einig zeigen und entschlossen und ohne weitere Verhandlung die Patentlösung binnen Tagen und Wochen beschließen mögen.
Ja geht es denn noch?
Irgendwie ist das auch alles widersprüchlich: Einerseits wollen alle die Demokratie, in der sämtliche Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden, andererseits jedoch wollen anscheinend alle auch das genaue Gegenteil davon, nämlich den schnellen Entschluss einer zentralen Instanz. Ob da nicht ganz tief eine Sehnsucht nach einem autoritären System schlummert, das natürlich keine böse Diktatur wie unter Hitler sein darf, sondern eher ein Kuschelabsolutismus der Herrschaft einer weisen Führung?
Vielleicht ist das gegenwärtig eher ein Problem als der Euro. Denn der Euro ist ja seit Anbeginn der Krise eigentlich bombenfest. Zwar nicht in den Hirnen, aber zumindest an den Märkten.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
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