Von Bernd Niquet
Jetzt haben wir die Nullerjahre erfolgreich hinter uns gebracht und stehen nunmehr wieder vor den Zehnerjahren. Mal sehen, was diese bringen. Der Blick zurück ist sicherlich durchaus gemischt: Um 1810 herum wurden alle alten Werte gründlich durcheinander gewirbelt. Europas Bevölkerung verdoppelte sich binnen hundert Jahren, die Produktivität in der Landwirtschaft stieg rasant an, doch 1810 stand dann auch Napoleon in Deutschland. 1910 schließlich war zwar die Stimmung überschwänglich, doch die Katastrophe beinahe schon ersichtlich. Nur wenige Jahre vorher hatte der Schriftsteller Felix Dahn gedichtet: „Morgen um die zwölfte Stund. Heiah, geht die Welt zugrund.“
Das kommt einem auch gut hundert Jahre später merkwürdig vertraut vor: Gerade zehn Jahre ist es her, da rechnete man fest mit dem Weltuntergang, da würden die Computer nicht mehr funktionieren, dachte man, die Flugzeuge abstürzen und das ganze städtische Leben in sich zusammen brechen.
Nur zehn Jahre später ist der ohnmächtige kleine Mensch plötzlich wieder ganz mächtig geworden, denn jetzt er ist es plötzlich, der das Schicksal seiner Erde in seinen Händen hält. Er ist der große Schuldige und der große Retter in einem. Er hat den Sündenfall begangen, die Atmosphäre aufzuheizen, doch jetzt kann er es mit den eigenen Händen schaffen, den Temperaturanstieg in Grenzen zu halten. Das alles funktioniert nicht anders, als wenn Mutti im Wohnzimmer den Thermostat etwas herunter stellt.
Gerade erst ist die große Konferenz über die Klimaerwärmung zu Ende gegangen, da warnen die Meteorologen vor dem kältesten Winter des 20. Jahrhunderts. Vielleicht muss Mutti also bald wieder nach oben drehen. Doch was ist, wenn dann nichts passiert? Aber ach, die Gewissheit, dass uns eine neue Eiszeit bevorsteht, ist doch gerade erst 35 Jahre her. Da schrieb die Presse im Jahr 1974, halte die Klimaverschlechterung an, dann werde das demnächst die gesamte Menschheit in Mitleidenschaft ziehen und es würden bis zu einer Milliarde Menschen verhungern, weil die Getreideernten rückläufig seien. Und die Chancen auf eine rasche Rückkehr zu einem milderen Klima taxierte man damals bestenfalls mit 1 zu 10.000.
Manche Verrücktheiten sind demgegenüber ganz neu: Die Entwickler der Künstlichen Intelligenz sorgen sich derzeit darum, was passieren könnte, wenn Computer ausreichend komplex werden, um Gefühle zu bekommen. Unabhängig von den moralischen Problemen, die daraus erwachsen könnten, die Gefühle dieser Maschinen zu verletzen (nein, der Artikel, aus dem ich zitiere, stammt nicht vom 1. April, sondern ist von einem Professor für Bioethik von der Universität Princeton), ist „die wirklich schwierige Frage natürlich, ob ein Roboter tatsächlich über ein Bewusstsein verfügt und nicht nur zur Nachahmung von Bewusstsein konzipiert wurde.“
Tja, das ist der Stand der Wissenschaft zum Anfang der neuen Zehnerjahre. Die passende Antwort darauf findet sich allerdings bereits in den letzten Zehnerjahren, bei Sigmund Freud. Denn wenn es dem Menschen wenigstens hundert Jahre nach Freud gelänge, sich zumindest Teilen seiner eigenen Gefühle bewusst zu werden – und überdies seine Urteile in Übereinstimmung mit diesen zu fällen!!! – könnte man sich den größten Blödsinn, der die Welt umtreibt, von vornherein sparen.
In diesem Sinne: Ein frohes Neues Jahr(zehnt)!!!
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
+++++++ AUCH 2010 NOCH FRISCH +++++++
Bernd Niquet, TAUPUNKTE, Erzählung, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2009, 133 Seiten, 9,95 Euro. ISBN 3-86901-434-2.
Das neue Buch von Bernd Niquet bezieht sich nicht direkt auf die Börse und die Finanzen, sondern packt den Menschen in seiner Gesamtheit. Wie wäre es, fragt er, wenn man plötzlich ganz neu in unsere Welt hinein träte, ohne jede Historie in ihr zu besitzen? Wie würde man die Welt dann wahrnehmen? Und mit wem hätte man Umgang?
Auf jeden Fall stünde man wohl ziemlich alleine da, schwämme gegen den Strom und bewegte sich gegen den Strich – ganz so also, wie es auch dem erfolgreichen antizyklisch orientierten Anleger geht.
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