Von Bernd Niquet
Wir sind schon ein richtig verschärftes Volk, wir Deutschen, finde ich. Apropos: Darf man heute eigentlich „Sommersonnenwende“ sagen? Oder ist das Nazi- Terminologie und damit verboten?
Wir Deutschen besitzen die innovativsten Unternehmen, hatten mit der Sozialen Marktwirtschaft das beste Wirtschaftsmodell der Welt, tragen allerdings auch einen Völkermord auf dem Kerbholz, haben im Krieg nicht weniger als 26 Millionen Russen getötet und wollen jetzt erneut damit loslegen.
Und unsere Denker und Dichter sind aber auch nicht zu verachten. Leider haben wir auch hier übertrieben, denn heute ist eine Heizungsabrechnung noch unmöglicher zu verstehen als der Faust II.
Und das gilt ja nicht nur für die Mieter, die Mitarbeiter meines Vermieters verstehen sie auch nicht. Und derjenige, der sie erstellt hat, anscheinend auch nicht. Deswegen ist jeder Dialog zum Scheitern verurteilt.
Leider verstehen daher die Richter und Staatsanwälte die Abrechnungen auch nicht. Jedenfalls nicht so eine wie bei mir, wo wir Mieter nur ein Drittel der bezogenen Energiemenge verbraucht haben. Und das zum mehr als Dreifachen des Bezugspreises inklusive Kosten.
Und wo deswegen die Nachtigall trapst, weil ja nebenan die Firma des Vermieters liegt, in der man die Energie sicher gut gebrauchen kann.
Sowie jemand wie ich, der gleichsam mit Bilanzen aufgewachsen ist, natürlich sofort sieht, dass hier etwas nicht stimmt. Aber wer weiß schon etwas von so etwas?
Die Hausverwaltung brach den Dialog dann auch einfach ab. Es sei jetzt alles gesagt, hatten sie beschlossen.
Daraufhin habe ich den Vermieter bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, doch die spürte sichtbar keine Lust, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Dafür in der vergangenen Woche der Prozess vor dem Amtsgericht, den ich krachend verloren habe. Weil der Rechtsanwalt des Vermieters und die Richterin beide meinen Einwand nicht verstanden hatten. Was für ein Zufall.
Vielleicht liege ich allerdings auch schief? Doch wer könnte mir das sagen, wenn alle nichts verstehen? Wenn einer der Leser hier vielleicht einen Spezialisten kennt, wäre ich sehr dankbar: berndniquet@t-online.de
Bis jetzt bin ich ja schon von Pontius bis Pilatus gelaufen. Doch sowohl beim Mieterverein als auch beim Anwalt sieht man die Welt anscheinend mit anderen Augen. Und die Heizungsleute, die ich angesprochen habe, können zwar alle schrauben, aber mehr ist nicht ihr Thema.
An diesem Tag vor Gericht habe ich allerdings trotz des Fiaskos enorm viel gelernt. Und ich erkenne, wie naiv und dumm ich vorher gewesen bin.
Denn ich bin tatsächlich davon ausgegangen, dass wir in einer faktenbasierten Welt leben. Dass bei Differenzen letztlich Fakten entscheiden.
Doch das ist wohl nur ein antiquiertes und heute überkommenes aufklärerisches Ideal. Heute kommt es vielmehr wie bei George Orwell darauf an, was das Wahrheitsministerium gerade festgelegt hat.
Und das hat mich dann doch mächtig geschockt. Denn ich dachte immer, ein Richter hört sich so neutral wie möglich von beiden Seiten an, was sie vorzubringen haben, und entscheidet dann. Doch so läuft das ja gar nicht.
Ich habe nämlich vom ersten Moment an gemerkt, dass die Richterin mit dem Anwalt der Gegenseite vorher ausführlich gesprochen haben musste. Mit mir hatte sie das jedoch nicht getan.
Ich habe daher auch vom ersten Satz an gemerkt, dass ihr Urteil bereits vor Beginn der Verhandlung gefällt war.
Wie nennt man so etwas? Schauprozess? Nicht auszudenken, es wäre hier um mehr gegangen als um eine lächerliche Heizungsabrechnung.
Und seitdem denke ich täglich mit Sorge: Wenn selbst hier, wie dann dort, wo es um das Leben oder die Freiheit geht?
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. NEUNTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro
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Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt.
Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt.
Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein. Doch genau das traf ja zu. Wo war ich hier nur hineingeraten?
Dem stand allerdings auf der Habenseite entgegen, dass ich höchstwahrscheinlich der einzige Mensch in unserem Land bin, dessen Leben durch die Corona-Pandemie nicht negativ tangiert wurde.
Und wenn diese Leute hier mich dann auch noch gut finden würden, dann hätte ich wirklich etwas falsch gemacht in meinem Leben.
Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.
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