Von Jochen Steffens
Deutschland hat gewählt und so wie es aussieht, ist eine große Koalition das wahrscheinlichste Szenario. Umfragen zufolge ist dies genau das, was die Deutschen mehrheitlich wollen. Andere rechnerisch mögliche Konstellationen wurden dagegen im Vorfeld zum Teil kategorisch ausgeschlossen und sind daher unwahrscheinlich.
Einige Effekte dieser Wahl sind bereits heute an der Börse zu erkennen. So gaben Immobilienaktien deutlich nach, da beide Parteien eine Mietpreisbremse auch für Neuvermietungen durchsetzen wollen. Versorger gerieten ebenfalls unter Druck, da mögliche Erleichterungen für diese Unternehmen im Rahmen einer Anpassung der Energiewende dann vermutlich schwieriger umzusetzen sind.
Allerdings sind dies die berühmten „kurzen Beine“, die politische Entscheidungen an den Börsen haben. Solche relativ klaren, vorhersehbaren oder „berechenbaren“ Einflüsse werden von den Börsen zur Kenntnis genommen, eingepreist und abgehakt. Sofern es bei den Koalitionsverhandlungen und -verträgen zusätzliche Überraschungen für die Börsianer gibt, könnten diese unter Umständen nochmals einmal einen kurzfristigen Effekt auf die Kurse haben.
Nun könnte man auf die Idee kommen, anhand der Charts zurückblicken. Nach der Wahl von 2005 gab es schon einmal in jüngerer Vergangenheit einer großen Koalition. Damals hat sich die Börse bis 2007 zunächst sehr gut entwickelt. Diese gute Entwicklung wurde erst 2008 durch die Finanzkrise gebremst.
Doch daraus können Sie keine Rückschlüsse auf die jetzige Situation ziehen. Denn es waren vor allem die US-Märkte, die in dieser Zeit haussierten und dabei den Dax und die anderen europäischen Börsen mit sich zogen – und nicht die politischen Ereignisse in Deutschland. Auch der finale Einbruch in der Krise, verursacht durch die Pleite von Lehman Brothers, geschah in den USA.
USA geben Richtung vor
So muß unser Blick auch weiterhin auf die Börsen- und Wirtschaftsentwicklung in den USA, aber auch auf die weltwirtschaftliche Entwicklung gerichtet sein. Daraus lassen sich am ehesten verläßliche Prognosen zu erstellen. Kurz gesagt hat die Fed-Entscheidung in der vergangenen Woche sicherlich mehr Einfluß auf den weiteren Verlauf an der Börse als das Ergebnis der Bundestagswahl. Dieser Umstand wird in der Berichterstattung – auch der Wirtschaftsmedien – angesichts der Spannung solcher Wahlen gerne vernachlässigt. Allerdings gibt es durchaus einen Bereich, in dem der Wahlausgang doch noch längerfristig eine Wirkung entfalten könnte. Immerhin stehen auf der politischen Agenda in der EU immer noch wichtige Punkte, um die Nachwehen der Euro-Schuldenkrise zu beseitigen. Hier kann und wird die deutsche Regierung unmittelbar Einfluß nehmen.
Wir wissen alle noch sehr gut, wie stark diese Themen seit 2010 auch auf die Börsen wirkten, auch wenn es in den vergangenen Monaten etwas ruhiger darum geworden ist. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß einige Aspekte demnächst erneut auch die Börsen beschäftigen werden, beispielsweise das Thema Bankenunion. Dieses wird voraussichtlich ab Dezember 2012 auf der Tagesordnung diverser EU-Gipfel stehen. Und erst dann wird sich zeigen, inwieweit die Bundestagswahl tatsächlich weitere Auswirkungen auf die Börsen hat.
Jochen Steffens ist Chefredakteur des kostenlosen Newsletters "Steffens Daily". Weitere Informationen finden sie hier.