Von Bernd Niquet
Wir haben die Woche vor Weihnachten und ich bin extra noch einmal mit dem Rad zum Supermarkt gefahren, weil meine Tochter so gerne Zimtsterne haben möchte. Und ärgere mich sehr, dass dieser blöde Rewe-Markt, bei dem ich ansonsten niemals mehr einkaufe, keine einzige Packung Zimtsterne in seinem Sortiment führt.
Ich nehme jedoch noch ein paar Äpfel und billige Halogenleuchten mit. Als ich an der Kasse stehe, bekomme ich zuerst gar nicht mit, was da vor mir los ist. Ich merke nur, dass es dauert, dass mir das aber nichts ausmacht, weil ich Zeit habe. Dann höre ich die Kassiererin sagen: „Ich bin aber nicht verpflichtet, das alles anzunehmen.“
Erst in diesem Moment schaue ich hin. Vor mir steht ein ziemlich abgerissen wirkender Mann in schäbigen Anziehsachen, der anscheinend neben einem Flaschenbon viel Kupfergeld zum Bezahlen seiner zwei Brötchen und einer der im Preis deutlich herabgesetzten letzten Packung Ostereier der Kassiererin hinübergereicht hat. Sie zählt, doch es reicht nicht. Daraufhin greift der Mann in seine letzte Tasche, zieht noch ein paar Münzen heraus, doch es reicht immer noch nicht.
Als er gerade im Begriff ist, die Eier zurückzugeben, sage ich, dass ich für den Rest aufkommen würde. Der Mann ist überglücklich. Dabei sind es ganze 22 Cent, die ich dazulegen muss.
Als ich ebenfalls durch die Kasse durch bin, sehe ich den Mann vorne noch stehen, gehe zu ihm hin und spreche ihn an, doch er spricht weder deutsch noch englisch, so dass ich schließlich weitergehe. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihm noch etwas Geld zu geben, doch wenn er nicht einmal ein paar Worte deutsch spricht, denke ich, dann nicht.
Erst als ich mit dem Rad bereits ein Stück weg bin, fällt es mir brühend heiß ein: Meine Güte, das wird einer der Flüchtlinge aus den Elendsgebieten dieser Welt sein, wahrscheinlich aus Syrien, der nur knapp dem Tod entkommen ist. Und wie soll der da deutsch sprechen können?
Ich rufe mir noch einmal in Erinnerung, wie er aussah. Sehr groß, brauner Teint, schwarze Haare, schwarzer Bart und leicht gehbehindert, deswegen hatte er einen Stock dabei. Seine Haltung war trotzdem aufrecht, eigentlich eine phantastische Erscheinung. Ich halte zwar überhaupt nichts von der Christusgeschichte, doch so hätte ich mir einen der Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland vorgestellt.
Mit Tränen in den Augen komme ich nach Hause. Was ist das nur für eine Welt, in der wir leben, dass sich von unseren Leuten jeder noch so große Idiot bis über den Rand hinaus täglich mit allem vollstopfen kann, was die Welt anbietet, für so einen Menschen hingegen nur knapp die Ostereier des letzten Festes übrig bleiben.
Und ich nehme mir vor, mich ab sofort mit diesen Menschen zu beschäftigen. Ich werde von nun an, jeden, der vor dem Supermarkt steht und bettelt, fragen, woher er kommt, wovon er hier lebt und wo er wohnt. Und wenn ich noch einmal einen Menschen wie diesen treffe, dann lade ich ihn zu Kaffee und Brötchen in der Bäckerecke ein und rede notfalls in Zeichensprache mit ihm.
Und wenn ich dann ein eigenes Bild gewonnen habe, was das für Menschen sind und wie ich ihr Schicksal beurteile, dann werde ich entscheiden, ob und in welcher Form ich mich engagiere.
Auf jeden Fall war das wirklich ein magisches Erlebnis. Ich habe die Weihnachtsgeschichte selbst miterlebt.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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Bernd Niquet, „Die bewusst herbeigeführte Naivität“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2014, 265 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-95744-306-9.
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