Von Bernd Niquet
Europa macht sich Sorgen um Deutschland, zu Recht, wie ich denke. Die große Mittelmacht und das wirtschaftlich stärkste Land in Europa erweist sich als nicht mehr berechenbar. Ist ein Vereinigtes Europa überhaupt weiterhin denkbar, wenn die Zentralmacht sich wie ein Pubertierender verhält und aus einem Bauchgefühl heraus die eigene Gesellschaft und deren Traditionen und Gesetze total umkrempelt?
Wäre es nicht sinnvoll gewesen, sich zuerst mit den europäischen Verbündeten über eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu verständigen als sie jetzt vor vollendete Tatsachen zu stellen? Wir können doch nicht alle Flüchtlinge in unser Land hineinlassen und anschließend erwarten, dass die anderen sie uns per Quote wieder abnehmen.
Ich empfinde es auch als ohne jegliche Logik, was derzeit mit den Grenzen passiert. Da wird zuerst gesagt, Zäune wären keine Lösung, obwohl doch die Grenzsicherung zu den vorrangigen Aufgaben jedes Staates gehört, doch jetzt kollaboriert man sogar mit einem Diktator wie dem türkischen Präsidenten Erdogan, um die griechisch-türkische Grenze dicht zu bekommen und damit den Flüchtlingsstrom aufzuhalten.
Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, müssen wir lieb zu einem Diktator sein, der seinerseits die Kurden bombardiert, die ihrerseits jedoch die einzig vorhandenen Kämpfer gegen den IS sind, der den Flüchtlingsexodus weitgehend erst ausgelöst hat. Auf diese Weise befrieden wir den Konflikt um Syrien keineswegs, sondern heizen ihn noch weiter an. Unsere übermäßige Aufnahme von Flüchtlingen führt dazu, dass nicht nur immer mehr Flüchtlinge zu uns kommen, sondern dass es sogar immer mehr Flüchtlinge gibt.
Das aber will natürlich niemand sehen. Genauso wenig wie die ökonomischen Konsequenzen der Flüchtlingskrise. Hier hat der scheidende ifo-Präsident Hans-Werner Sinn gerade den vielen Gutmenschen in unserem Lande die Flausen geschoren und gesagt, was ökonomisch erforderlich ist, um die vielen Flüchtlinge zu integrieren.
Dazu bräuchten wir nämlich laut Sinn eine neue Agenda 2010 und müssten den Mindestlohn wieder abschaffen. Geschäftsmodelle für Geringqualifizierte würden erst dann rentabel, sagt Sinn, wenn der Lohn für einfache Arbeit fällt. Und: „Wenn die Zuwandernden keine Stellen kriegen, werden sie nicht integriert, und dann werden wir erhebliche Spannungen in der Gesellschaft bekommen. Dann kippt die Stimmung erst recht.“
Die Ökonomie kann manchmal so brutal sein. Besonders für romantische Träumer.
Mein Demokratieverständnis hat in der letzten Zeit ebenfalls mächtig gelitten. Für jede Kleinigkeit sind bei uns ellenlange Diskussionen erforderlich. Bis beispielsweise entschieden wird, ob bei einem Flughafen eine neue Landebahn gebaut werden darf, ist bereits die nächste Generation im Amt. Doch ob wir mit der Bankenrettung unsere Staatsfinanzen ruinieren, unsere Energieversorgung gänzlich umdrehen oder unser Land durch die Zuwanderung von Millionen komplett verändern, das wird einfach mal so im Hinterzimmer entschieden und anschließend im Vorbeigehen durchgewunken.
Und wenn sich dann tatsächlich jemand dagegenstellt, ist er im besten Falle ein Populist, im schlechtesten ein Nazi. Als Mitte der Woche der EU-Ratspräsident Donald Tusk die Sicherung der Außengrenzen der EU gefordert hat, weil ansonsten ein „Nährboden der Angst“ entstehe, habe ich überlegt, als was man ihn denn wohl bezeichnen wird?
Der liberal-konservative polnische EU-Ratspräsident ein Nazi? Oder nur ein mieser kleiner Populist? Aber sie haben alle geschwiegen und gekuscht. Vielleicht stellen die Osteuropäer ja gar keine Schwächung der EU dar, wie anlässlich wirtschaftlicher Punkte gedacht, sondern werden vielmehr zum Fels und Retter eines Europa, das seinen Kompass und seine Orientierung gänzlich verloren zu haben scheint.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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Bernd Niquet, „Die bewusst herbeigeführte Naivität“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2014, 265 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-95744-306-9.
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