Von Stefan Böhm
Was wurde nicht alles spekuliert: Gehen Eon und RWE pleite, weil sie nicht genug Rücklagen für den Atomausstieg haben? Jetzt hat das Wirtschaftsministerium die Stresstests vorgelegt und welch Wunder: Eon, RWE, Vattenfall und EnBW haben angeblich genügend Substanz, um den Atomausstieg ohne Staatshilfen und Kapitalerhöhungen zu bezahlen. Nicht auszudenken, wie die Anleger reagiert hätten, wenn der Stresstest zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. So jedoch können die gebeutelten Eon- und RWE-Aktien stark aufholen. Seit ihren Tiefstkursen Ende September legten beide Werte immerhin wieder um mehr als 30 Prozent zu!
Wunschdenken oder Realität?
Doch wie realistisch sind die Annahmen im Stresstest eigentlich? Der Abriss der Kernkraftwerke und die Endlagerung kosten laut Gutachten 47,5 Milliarden Euro. Da drängt sich schon die Frage auf, wie die Gutachter das berechnen konnten, wo doch nicht einmal der Ort der Endlagerung feststeht. Die Rücklagen der Versorger betragen außerdem nur 38,3 Milliarden Euro. Die Lücke, so die Gutachter, könnten die Versorger aus ihrer Substanz finanzieren. Das ist schon eine verwegene Annahme, die mit den Grundsätzen ordentlicher Buchführung nur wenig zu tun hat. Denn spätestens seit dem Desaster um den Berliner Flughafen muss man annehmen, dass jedes staatliche Großprojekt deutlich teurer wird, als prognostiziert – insbesondere eines mit so vielen Unbekannten wie der Atomausstieg. Allein schon weniger optimistische Annahmen über die Zinsentwicklung können die Kosten leicht um viele Milliarden steigen lassen.
Aktien bleiben unattraktiv
Ein Kauf von Eon- und RWE-Aktien drängt sich aber auch aus anderen Gründen nicht auf, zumindest nicht für langfristige Investoren: Immer noch rätseln alle, wie denn die neue Geschäftsstrategie der Versorger künftig aussehen soll? Es gibt viele Baustellen, aber nur wenige Antworten. Die Vorstände suchen weiterhin nach einer Strategie, haben aber bisher keine Antwort auf die Branchenkrise als Einsparungen und den Verkauf von Unternehmensteilen. Sicher ist, dass die goldenen Zeiten der Versorgeraktien vorbei sind, ebenso die Zeiten der hohen und sicheren Dividenden.
Fazit: Wer jetzt eine RWE- oder eine Eon-Aktie kauft, kann vielleicht einen kurzfristigen Kursgewinn realisieren, aber ein Witwen- und Waisenpapier, das man bedenkenlos auch unerfahrenen Anlegern empfehlen kann, sind die Versorgeraktien nicht mehr. Für valueorientierte Anleger sind und bleiben die Aktien unattraktiv – auch nach dem Stresstest.
Stefan Böhm ist Chefredakteur des DaxVestor.
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