Von Bernd Niquet
Durch den in dieser Woche auf Arte gelaufenen Film „Z – Anatomie eines politischen Mordes“ bin ich darauf gekommen, dass Griechenland im Jahr 1967 eine Militärdiktatur geworden ist, was mir vorher nicht mehr präsent gewesen ist.
Und plötzlich setzt sich da ein interessantes Mosaik Europas zusammen, das drei Themenkreise berührt:
(1) Welche westeuropäischen Länder, die heute zur EU gehören und den Euro haben, waren am längsten rechtsgerichtete Diktaturen?
(2) Welche Länder aus dem Euroraum stehen heute (oder standen bis gerade eben) unter Kuratel der EU und dem sogenannten Rettungsschirm?
(3) Und schließlich, in welchen Ländern haben kürzlich linksextreme Regierungen die Macht übernommen?
Die Antwort auf die erste Frage lautet: Griechenland, Portugal und Spanien.
Die Antwort auf die zweite Frage lautet: Griechenland, Portugal und Spanien.
Die Antwort auf die dritte Frage lautet: Griechenland, Portugal und Spanien.
Das ist ein gespenstischer Zusammenhang, finde ich. Auch die zeitlich Kongruenz erstaunt mich, als ich sie herausfinde: Griechenlands Militärdiktatur endete 1974, im selben Jahr lief in Portugal die Nelkenrevolution ab, und nur ein Jahr später starb in Spanien Franco, was zwischen 1976 (Zulassung von Parteien) und 1981 (Verabschiedung Verfassung) den Prozess der „Transición“ in Gang setzte.
Wir hatten also sehr lange, als der Touristenboom schon in voller Blüte stand, im Süden Europas rechte Diktaturen. Zur selben Zeit regierten im Zentrum Europas die Linken die Straße.
Heute hat sich das komplett umgedreht. Es hat sich ein Muster ergeben, von dem jedoch noch nicht klar zu erkennen ist, was es bedeutet.
Derzeit laufe ich beim Pensum einer zehnten Gymnasialklasse mit und habe mich mit Paul von Hindenburg beschäftigt. Auch hier bin ich verblüfft, was man dort alles herauslesen kann. Gegenwärtig ist Hindenburg ja in vielen Städten posthum die Ehrenbürgerwürde aberkannt worden und er gilt allgemein als Steigbügelhalter der Nationalsozialisten.
Das zeigt ein interessantes Demokratieverständnis. Bei den Wahlen zum Reichstag war die NSDAP die beherrschende Partei geworden, gegen die sich keine Regierung mehr bilden ließ. Daraufhin den Führer der Mehrheitspartei zum Kanzler zu machen, ist natürlich ein Verbrechen gewesen, das sehe ich ein. Wir Deutschen sind Im-Nachhinein-Saubermänner geworden. Bei der Sicht nach vorne haben wir hingegen weiterhin unsere historischen Schwächen.
Erstaunt stelle ich fest, dass heute noch an Gymnasien griechische Tragödien gelesen werden. Vor ein paar Jahren hätte ich das unzeitgemäß gefunden und strikt abgelehnt. Heute hingegen sehe ich das komplett anders.
Denn ist es nicht so, dass alle diejenigen, die für die ökonomische Situation des heutigen Griechenlands den Begriff der „griechischen Tragödie“ wählen, niemals in ihrem Leben wirklich eine gelesen haben? Von der Beschäftigung mit der Zeit, als Hindenburg Reichspräsident war, ganz zu schweigen.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
******* DAS ENDE EINES LANGEN ZYKLUS *** NEUES BUCH *******
Bernd Niquet, „IN TIEFSTEN SCHICHTEN“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2015, 327 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-95744-926-9.
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