Von Thomas Grüner
Die Nacht zum 24. Juni 2016 wird Anlegern noch einige Zeit in Erinnerung bleiben. In den frühen Morgenstunden ist das Referendum entschieden: Brexit-Befürworter erhalten 51,9 Prozent der Stimmen, Großbritannien will die EU verlassen. Die Märkte für Anleihen, Währungen und Aktien zeigen heftige Kursreaktionen. Europäische Aktienindizes eröffnen mit riesigen Verlusten, das Britische Pfund fällt zum US-Dollar im nächtlichen Handel auf ein 30-Jahres-Tief. David Cameron verkündet seinen Rücktritt als Premierminister.
Wer wird seine Nachfolge antreten und die Verhandlungen mit der EU anführen? Wie gut verkraftet die Wirtschaft diesen Schritt, sowohl die britische als auch die europäische? Wie groß ist der Effekt auf die globale Wirtschaft? Scheidet Großbritannien friedlich aus der EU aus oder droht eine Schlammschlacht? Ist die Stabilität der gesamten EU in Gefahr? Wird Schottland ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum abhalten? Unzählige Fragen, deren Beantwortung jede Menge Zeit in Anspruch nehmen wird.
Die nächsten Schritte
Zunächst einmal ist die Situation im Grunde unverändert. Großbritannien ist momentan immer noch Mitglied der EU, hat freien Zugang zum Binnenmarkt, es drohen keine unmittelbaren Veränderungen oder überraschende Konsequenzen. Wer wird neuer Premierminister? Beobachter können sich auf lautstarke Wahlkampagnen gefasst machen. Erst wenn der Nachfolger Camerons feststeht, wird sich dieser auf Artikel 50 des Lissabonner Vertrags berufen und die Ausstiegsverhandlungen können beginnen. Gemäß den Vertragsrichtlinien haben die Beteiligten zwei Jahre Zeit, die Rahmenbedingungen des Ausscheidens festzulegen. Das endlose politische Tauziehen kann beginnen.
Entscheidend wird sein, wie die Handelsbeziehungen letztendlich ausgestaltet werden. Um diese politisch geführte Diskussion zu verstehen, muss die Problemstellung von zwei Seiten betrachtet werden: Einerseits hat die EU kein Interesse daran, dass der Ausstieg für Großbritannien äußerst „erfolgreich“ verläuft. Die Idealvorstellung aus Sicht der Briten (Bürokratieabbau, Unabhängigkeit und dabei weiterhin unbeschränkten Zugang zum Binnenmarkt mit allen Vorzügen) wird die EU nicht erfüllen, allein schon um möglichen „Trittbrettfahrer-Staaten“ keine Anreize zu liefern, ebenfalls die EU zu verlassen. Andererseits sind die Wirtschaftsbeziehungen weit verzweigt und es gilt die Interessen der Wähler und Unternehmen zu wahren. Anreize für Handelsabkommen, die beiden Seiten zu Gute kommen, sind zur Genüge vorhanden.
Wie sollten sich Anleger verhalten?
Die Verhandlungen werden zäh sein, und sie werden lautstark in der Öffentlichkeit abgehalten – was den Märkten die Chance eröffnet, zukünftige Änderungen sehr schnell zu verarbeiten – das negative Überraschungspotential bleibt begrenzt. Positiv! Aus Anlegersicht sollte man sich – wie immer in turbulenten Phasen – auf das übergeordnete Bild konzentrieren. Der Fortbestand des globalen Bullenmarkts ist durch den Brexit nicht gefährdet! Es wird Gewinner und Verlierer geben, aber die Unternehmen werden genügend Zeit haben, sich auf neue Rahmenbedingungen einzustellen.
Fazit: Tage wie der 24. Juni stellen harte Geduldsproben für Aktienanleger dar. Nur wer diese Situationen meistern kann und seine übergeordneten Anlageziele im Blick behält, wird belohnt. Wer sich zu emotionalen Handlungen in den „heißen Phasen“ hinreißen lässt, gefährdet in der Regel den eigenen Anlageerfolg. Und warten wir mal ab: Vielleicht kommt auch noch der Exit vom Brexit.
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Thomas Grüner ist Firmengründer und Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments GmbH. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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