Von Thomas Grüner
Vor rund einem Jahr war der Begriff der „finanziellen Repression“ in aller Munde. Das aktuelle Niedrigzinsniveau enteigne die Sparer, die EZB verfolge die unheilvolle Strategie der US-Notenbank und pumpe unaufhörlich billiges Geld in die Märkte. Hyperinflation drohe in der Folge. Das gedruckte Geld rette nur kurzfristig die schwächelnde Wirtschaft. Der Zusammenbruch des Finanzsystems wird damit nur aufgeschoben, kommt aber später unweigerlich. Erinnern Sie sich?
Viele Anleger haben das Trauma der Finanzkrise 2008/09 mittlerweile emotional verdaut. Die Rückkehr der Euro-Krise im Jahr 2011 hat diese akute Angst noch einmal spürbar aufflackern lassen. Seither weicht diese Befindlichkeit einer allgemeinen Verunsicherung. Man registriert dabei jede kleine Marktschwankung immer intensiver. Die gefühlte Volatilität ist hoch. Dabei haben – als nüchterne Fakten – die Volatilitätsindizes teilweise neue Rekordtiefs erreicht. Woher kommt diese völlige Fehlwahrnehmung vieler Anleger?
Ständig höre ich in meinen Gesprächen, dass im Finanzsystem etwas faul sein muss, man könne nur nicht wirklich präzisieren, was denn konkret faul sei. Diffuse Ängste, eine tief liegende Verunsicherung und Angst vor der Zukunft. Die Diskussionen rund um den Brexit, einen möglichen Zerfall Europas und nicht zuletzt der polternde „Trumpel-Präsident“ in den USA haben diese Verunsicherung zusätzlich verstärkt.
Parallel dazu steigen die Aktienmärkte in den USA ständig auf neue Rekordhochs, der deutsche Aktienindex hat mit Verzögerung ebenfalls neue Rekordmarken aufgestellt und auch die breiteren europäischen Indizes haben spürbar zulegen können. Wie passt das zusammen?
Börse bewertet Fakten und fürchtet sich nicht
Anleger ärgern sich weiterhin über negativ verzinste Anleihen und Festgelder ohne Ertrag. Und staunen ungläubig: Die Konjunktur weltweit brummt. Trotzdem fürchtet sich die EZB weiterhin vor Zinserhöhungen. EZB-Präsident Draghi plädiert auf der einen Seite für mehr Mut bei Eurozonen-Reformen, auf der anderen Seite jedoch monieren die Märkte „Draghis Angst“ vor Zinserhöhungen. Immer noch verteidigt die EZB ihre Anleihekaufprogramme, verweist auf die zu niedrige Inflation und hält an ihrer ultralockeren Geldpolitik fest. Der Blick in die USA lehrt jedoch, dass die Kreditmärkte eine Rückkehr zu „normalen Zinsen“ leicht verkraften. Mit steigenden Zinsen nahm die Kreditnachfrage in den USA sogar deutlich zu.
Die Börse kümmert sich wenig um diese Diskussionen. Sie achtet auf sprudelnde Unternehmensgewinne, ordentliche Dividenden, eine brummende Weltkonjunktur und im Vergleich zu Anleihen auf die immer noch historisch günstige Bewertung der Aktienmärkte. Positive Fakten! Ignorieren Sie diese nicht!
Fazit: Die Angst der Europäischen Zentralbank vor steigenden Zinsen würde ich nicht teilen. Etwas mehr Mut dürfte belohnt werden. Ebenso sollten Sie aber nicht allzu sorglos erwarten, dass die Aktienmärkte linear und stetig nur nach oben laufen. Die äußerst geringen Stände der Volatilitätsindizes dürfen Sie nicht einlullen. Korrekturen gehören an den Aktienmärkten dazu und können jederzeit auftreten – und sind sogar zu erwarten. Richten Sie aber den Fokus auf ihre langfristige und nachhaltige Strategie. Beachten Sie die Fakten! In einer Welt voller verunsicherter Anleger und diffuser Ängste scheint ein Bärenmarkt noch geraume Zeit entfernt zu sein.
Fragen zum Beitrag beantworte ich gerne per E-Mail an feedback@gruener-fisher.de.
Thomas Grüner ist Firmengründer und Chief Investment Officer der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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