Von Bernd Niquet
Bei uns in Berlin muss man gegenwärtig ja nicht einmal den Fernseher einschalten oder das Fenster öffnen, um ein Gefühl von Italien zu bekommen. So heiß und stickig ist es überall.
Wir verdorren, doch daraus wird hier und heute kein Mezzogiorno, sondern ist ein 24/7 geworden. Wir arbeiten nicht nur den halben Tag, sondern rund um die Uhr. Und schlagen mit unserem Fleiß eine tiefe Wunde in die EU.
Auf der Internetseite einer großen Tageszeitung hat ein Leser zur gegenwärtigen Italienkrise den folgenden Satz hinterlassen: Wir werden sowieso bald von Afrika überrollt, da sind das jetzt nur die Übergangswirren.
Ich halte das zwar für Quatsch, doch das Wort „Übergangswirren“ ist wunderbar. Wunderbar inspirierend.
Wann hat in Italien eigentlich zum letzten Mal jemand regiert, der auch vom Volk gewählt wurde? Das war sicherlich Berlusconi, ansonsten gab es ja nur die inthronisierten Technokraten. Wahrscheinlich sind die wirklich Wirren die Menschen, denen man das andauernd zumutet. Das alles ist ja auch alles mehr als verwirrend.
Ich muss derzeit ständig an die Hindenburgschen Notverordnungen denken. An das Kabinett der Barone. Und wie Hindenburg über lange Jahre vergebens versucht hat, Regierungen gegen die Mehrheit der Nationalsozialisten im Parlament zu bilden.
In Italien soll es ja am Wochenende einen Marsch auf Rom geben. Hier sind die Assoziationen eindeutig. Das sind wirklich Übergangswirren. Doch ein Übergang – wohin?
Das Szenario des Austritts Italiens aus dem Euro ist jetzt schon so lange auf dem Tapet, dass es mich wundern würde, wenn man nicht …, aber nein, es gibt bestimmt keinen Plan für diese Situation.
Ich habe auch keine Ahnung, was dann wäre. Dann sind große Teile unserer Targetmilliarden weg. Doch wen interessiert das überhaupt?
Und was wäre dann eigentlich mit dem EZB-Bilanz? Oder, die Frage umgedreht: Wie soll ein Land, das aus dem Euro aussteigt und eine neue Währung einführt, die permanent abwertet, seine Anleihen in Euro zurückzahlen? Das geht gar nicht. Doch, es geht, durch Kredite der Notenbank.
Wobei man natürlich leise schmunzeln muss.
Bei diesen ganzen nahezu unlösbaren Problemen kommt plötzlich eine ganz andere Frage in meinen Kopf: Wie war das eigentlich überhaupt möglich, dass wir so weit gekommen und so reich geworden sind, wie das heute der Fall ist?
Irgendwie scheint Geschichte immer anders zu funktionieren als die Zeitungsschreiber und Börsianer das vorher denken. Und nicht nur die.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
******* DAS ENDE EINES LANGEN ZYKLUS *** NEUES BUCH *******
Bernd Niquet, „IN TIEFSTEN SCHICHTEN“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2015, 327 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-95744-926-9.
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