Von Thomas Grüner
Immer wenn Aktienmärkte eine schwierige Phase durchmachen, haben viele Anleger mit zunehmender Furcht zu kämpfen. Die Ursachen hierfür liegen nicht nur in den negativen Schlagzeilen begründet, sie basieren auch auf einer einfachen Rechnung: Um die prozentuale Abwärtsbewegung in einem Bärenmarktszenario auszugleichen, müssen Aktienmärkte eine prozentual erheblich stärkere Aufwärtsbewegung vollführen, um den Ausgangspunkt wieder zu erreichen. Ganz konkret hat der MSCI World Index in US-Dollar innerhalb von rund fünf Wochen bis zu 34,0 Prozent verloren. Ausgehend vom bisherigen Tiefpunkt am 23. März 2020 müssen also nicht weniger als 51,6 Prozent Zuwachs erzielt werden, um diesen Kursverfall wieder auszugleichen.
Zum zwischenzeitlichen Tiefpunkt haben die globalen Aktienmärkte – mit hoher Dynamik – bereits einiges wiedergutgemacht. Es ist allerdings nicht empfehlenswert, sich in kurzfristigen Zahlenspielen zu verstricken, denn in der aktuellen Phase werden die Aktienmärkte weiterhin von einer hohen Volatilität geprägt sein. Erneute Rückschläge und große Tagesbewegungen dürften weiterhin das Bild bestimmen. Aufschlussreich ist dagegen die genauere Betrachtung, wie Erholungsbewegungen generell ablaufen und welche Dynamik letztendlich dafür sorgt, dass Aktienmärkte im langfristigen Bild immer wieder neue Höchststände erreichen.
Lange Historie als gute Basis
Der breite US-Aktienindex S&P 500 ist aufgrund seiner langen Historie geeignet für Aussagen zu einer „typischen“ Erholungsbewegung. Im Median dauert es 20 Monate, bis die Verluste eines Bärenmarkts ausgeglichen sind. Neu startende Bullenmärkte erreichen den Breakeven also viel schneller, als die durchschnittliche Aktienmarktrendite vermuten lässt. Der Grund ist einfach: In der durchschnittlichen Rendite sind alle Bärenmärkte inkludiert, die Rendite in den Bullenmarktphasen liegt also erheblich höher. Der S&P 500 Total Return weist seit 1925 eine Durchschnittsrendite von 10,8 Prozent aus – in diesem Tempo würde es mehr als vier Jahre dauern, bis eine Abwärtsbewegung wie die aktuelle ausgemerzt wäre. Im Bullenmarkt wird allerdings eine Durchschnittsrendite von 23,7 Prozent erreicht und dementsprechend fallen die Erholungsbewegungen oftmals dynamischer und schneller aus, als im Bereich der Tiefpunkte vermutet wird.
Wie substantiell ist der Abschwung tatsächlich?
Angesichts der schieren Wucht, mit der die Aktienmärkte getroffen wurden, stellen viele Marktbeobachter die Frage, ob die historische Marktbetrachtung überhaupt gerechtfertigt ist. Zugegeben, die Umstände sind heute in vielerlei Hinsicht einzigartig – noch nie ist ein Bärenmarkt so schnell eingetreten. Trotz der düsteren Stimmung werden Märkte wohl zukünftig aber weiterhin funktionieren, wie sie es schon immer getan haben. Sie werden wirtschaftliche Wendepunkte früh antizipieren und zur Normalität zurückkehren. Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wann“.
Fazit: Aktuell müssen Anleger mit vielen Fragezeichen umgehen können. Wie lange wird die Geschäftstätigkeit noch eingeschränkt sein? Ist China eine gute Blaupause für eine Erholungsbewegung? Wird COVID-19 gebändigt und verflüchtigt es sich in den Sommermonaten? Wie hoch stehen die Chancen, dass die Rückkehr zur Normalität in vielen Geschäftsbereichen so einfach gelingen kann? Mangelnde Gewissheit kann frustrierend sein, aber genau in diesen Situationen sind die Anleger im Vorteil, die es schaffen, trotz aller Widrigkeiten einen kühlen Kopf zu bewahren.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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