Von Bernd Niquet
Zunächst einmal Hut ab vor der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten. Das war mehr als ich erwartet habe. Ich bin ja nun wirklich kein Freund der Kanzlerin, aber wie sie hier mit ruhiger Hand steuert, ohne zu überziehen, das gefällt mir sehr gut.
Was mir bei allen politischen Entscheidung allerdings etwas fehlt, ist, dass niemand einmal konkret die große Linie für die längere Frist aufzeigt. Wie soll es denn nun weitergehen? Auf einen Impfstoff vor Herbst 2021 zu hoffen, wäre sicherlich vermessen. Es sind also 18 Monate, in denen wir ohne weitermachen müssen. Aber wie?
Ich denke, es gibt prinzipiell zwei Wege. Entweder man versucht, das Virus auszurotten, oder man freundet sich mit ihm an. Was bedeutet, ein Großteil der Bevölkerung muss die Infektionen durchmachen.
Für den ersten Weg ist es wohl zu spät. China versucht das anscheinend, doch auch von dort weiß man ja nichts Genaues. Der zweite Weg ist daher für uns wohl alternativlos.
Das heißt, wir müssen uns durchwursteln. Die Menschen dürfen nicht komplett abgeschirmt werden, es dürfen aber auch nicht zu viele Infektionen auf einmal kommen. Die Absage von Massenveranstaltungen bis August ist daher sicher richtig, so tragisch das auch immer ist.
Doch jede mögliche Infektion zu verhindern, kann nicht das Ziel sein. Im Sommer an den Stränden Plexiglasboxen aufzustellen, wie manche das jetzt vorschlagen, scheint mir daher etwas schräg zu sein.
Der Weg ist allerdings noch ziemlich lang. Die große Studie in Österreich hat gerade gezeigt, dass wohl etwa 0,3 Prozent der Bevölkerung bisher die Infektion durchgemacht hat. Bis zur sogenannten Herdenimmunität ist es daher ungefähr noch so weit wie von der Erde zum Mond.
Und was ist mit der Wirtschaft? Es gibt derzeit eine erstaunliche Differenz zwischen den Panik schürenden Medien und den gut behaupteten Börsenkursen. Wer wird im Endeffekt Recht behalten? Wer hat mehr Ahnung?
Ich rechne durchaus noch mit schweren Zeiten an den Börsen, denn was hier passiert, ist komplett unsicher. Dass Wirtschaftsjournalisten hingegen Poltergeister sind, steht fest. Gerade ist das „Handelsblatt“ mit der Schlagzeile herausgekommen, dass die gegenwärtige Krise dreißig Mal schlimmer werden könne als die Finanzkrise.
Dreißig Mal! Das kommt daher, dass in der Finanzkrise die Weltwirtschaft um 0,1 Prozent geschrumpft ist und die Prognosen für die Coronakrise auf 3 Prozent hindeuten. Da können wir wirklich froh sein, dass wir bei der Finanzkrise kein Nullwachstum hatten, denn ansonsten wäre die jetzige Krise sogar unendlich viel schlimmer.
Völlig deplaziert sind auch alle Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933. Damals ist der Welthandel um fast 70 Prozent geschrumpft. 70 Prozent! Auch der Hinweis, dass die US-Produktion gerade so stark wie seit dem Jahr 1946 nicht geschrumpft ist, führt nicht weiter. Denn damals hatten wir eine endogene Krise und waren gerade aus zwei Weltkriegen herausgekommen.
Heute hingegen machen wir für überschaubare Zeit zu. Es ist eine exogene Krise. So etwas darf man nicht miteinander vergleichen. Ob ich Teile der Wirtschaft aus wirtschaftsfernen Gründen schließe oder ob diese durch wirtschaftliche Fehlentwicklungen heruntergefahren werden müssen, ist etwas komplett anderes.
Gleiches gilt für den Unterschied des Niveaus der Arbeitslosigkeit und der Steigerungsrate der Arbeitslosigkeit. Das zu verwechseln passiert allerdings oft, gerade in den Fernsehnachrichten. Da zuckt man dann zusammen, doch in Wirklichkeit liegt die Arbeitslosigkeit nicht bei 20 Prozent wie in der Weltwirtschaftskrise, sondern bei einem Viertel davon. Sie ist jedoch um 20 Prozent gestiegen.
Für die Journalisten, die das nicht unterscheiden können, hier ein kleines Beispiel: Wenn ich gestern ein Bier getrunken habe und heute zwei, dann liegt zwar die Steigerungsrate meines Bierkonsums bei 100 Prozent, was jedoch nicht heißt, dass ich 100 Prozent meiner Nahrung durch Bier zu mir nehme. Das ist etwas anderes. Versuchen Sie es einmal, beide Möglichkeiten durchzutrinken, dann werden Sie den Unterschied bemerken.
Und genauso ist das bei der Wirtschaft und der Coronakrise auch. Man kann sich darüber zwar betrinken, man kann sie aber nicht wegtrinken. Vor allem trinken Sie nie aus einem Steinkrug, denn ansonsten fangen Sie sich vielleicht noch einen Lungenhering von einem Journalisten ein. Was in den heutigen Zeiten gleich doppelt fatal wäre.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
******* Von Bernd Niquet ist ein n e u e s Buch erschienen *******
Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. FÜNFTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2019, 624 Seiten, 22 Euro
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Bernd Niquet und die Flüchtlingskrise. Die Geschichte von Bernd Niquet ist mittlerweile in den Jahren 2015 und 2016 angekommen. Das ist die Zeit des massenhaften und ungehinderten Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland. Die Hauptfigur der Ereignisse muss jetzt nicht mehr wie vorher nur die Lasten seines eigenen Lebens und seiner familiären Verhältnisse schultern, sondern sieht sich darüber hinaus gezwungen, aus sich selbst herauszutreten und sich ganz grundsätzliche weiterführende Gedanken zu machen.
»Immer, wenn die große Mittelmacht auf dem europäischen Kontinent verrückt spielt, resultieren daraus immense Verwerfungen. Wird der wirtschaftlichen Nord-Süd-Teilung zur Eurorettung jetzt auch noch eine kulturelle Ost-West-Spaltung zur Flüchtlingsrettung hinzugefügt? Denn das hieße ja nichts anderes als die bildliche Kreuzigung unseres Kontinents.«
Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und lebt trotz seines Umzugs im vergangenen Jahr weiterhin im selben ruhigen Außenbezirk von Berlin. Die ersten vier Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2018.
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