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Niedrige Erwartungen sind ein gutes Zeichen

Mittwoch, 20. Mai 2020 um 19:41

Von Thomas Grüner
Am vergangenen Freitag hat China weitere Daten veröffentlicht, die Aufschluss über die wirtschaftliche Aktivität des Landes geben sollen, seit die rigorose COVID-Eindämmungspolitik wieder aufgehoben wurde. Ob China eine gute Blaupause für andere Länder liefern kann, welche mit den Lockerungen sukzessive nachgezogen haben, sei natürlich dahingestellt. China ist ein spezieller Fall und die wirtschaftlichen Erkenntnisse aus COVID-19 werden nicht perfekt auf Kontinentaleuropa oder die USA übertragbar sein. Dennoch bietet die beginnende wirtschaftliche Erholung in China eine lehrreiche Vorschau auf das Leben nach der Stilllegung – und sollte dazu beitragen, Anlegern rund um die Welt eine rationale Erwartungshaltung zu verschaffen.

Erste Lichtblicke nach harten Rücksetzern

In Chinas erstem vollen Monat ohne nationale COVID-Beschränkungen stieg die Industrieproduktion im April um 3,9 Prozent im Jahresvergleich und kehrte nach dem Rückgang von -1,1 Prozent im März und dem Rückgang von Januar bis Februar um -13,5 Prozent in den positiven Bereich zurück. Die Einzelhandelsumsätze gingen im Jahresvergleich um -7,5 Prozent zurück, der zweite Monat in Folge mit langsameren Rückgängen. Investitionen in Sachanlagen fielen im Zeitraum Januar bis April 2020 um -10,3 Prozent im Vergleich zu den ersten vier Monaten 2019. Von Januar bis März 2020 zeigte dieser Jahresvergleich noch einen Rückgang von -16,1 Prozent. Die wirtschaftliche Aktivität wurde erfolgreich wieder hochgefahren.

Neue Probleme am Horizont?

Kritische Marktbeobachter erkennen die Verbesserung an, bezweifeln jedoch ihre Nachhaltigkeit. Die Erholung im Bereich der Schwerindustrie wird vor allem den Stimulus-Programmen zugeschrieben. Zudem wird angemahnt, dass China Güter für den internationalen Markt wie am Fließband produziert, die üblichen Abnehmer jedoch noch gar nicht investiert haben.

So oder so ist es keine gute Idee, aus der Entwicklung eines einzigen Monats weitreichende Schlüsse zu ziehen. Der Monat April beweist keine Robustheit oder signalisiert einen Wendepunkt, insbesondere wird die nachlassende Auslandsnachfrage für Gegenwind sorgen. Aber der Monat April sagt etwas über das Sentiment aus: Es grassieren Zweifel, ungeklärte Fragen und hohe Skepsis. Viele Marktteilnehmer sind extrem auf die trübe Gegenwart fokussiert und somit nicht bereit, die Zeichen einer möglichen Verbesserung anzuerkennen.

Mit der Veröffentlichung neuer Wirtschaftsdaten besteht immer die Möglichkeit, sich in meinungsgetriebenen Diskussionen um die nahe Zukunft zu verstricken. Was wirklich zählt, ist die Tatsache, dass sich China in einer Erholungsphase nach einem wirtschaftlichen Ohnmachtsanfall befindet. Wie die Erholung tatsächlich verläuft, hängt auch vom zeitlichen Verlauf der Wiedereröffnung weiterer Volkswirtschaften und einer gesunden Nachfrage nach Exporten ab.

Fazit: China ist weiterhin keine perfekte Blaupause, dennoch lassen sich aus den jüngsten Daten neue Erkenntnisse gewinnen. Die wirtschaftliche Erholung ist angelaufen, begleitet wird sie von unzähligen Fragezeichen und Zweifeln. Dies gilt auch für Europa und die USA, wo typische Projektionen eine zähe, langwierige Erholung voraussehen, die zudem abhängig von den Hilfsprogrammen der Regierung sind. Wer als Anleger nach guten Nachrichten Ausschau hält, wird sich weiterhin gedulden müssen. Immerhin: Das Sentiment bleibt deutlich eingetrübt. Jedes hoffnungsvolle Signal erwirkt eine Verbesserung der Erwartungshaltung und wird unmittelbar eingepreist – ein gutes, wenn auch etwas verstecktes Zeichen.

Fragen zum Beitrag beantworte ich gerne per E-Mail an feedback@gruener-fisher.de.

Thomas Grüner
ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.


Der obige Text spiegelt die Meinung der jeweiligen Autoren wider. Instock übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche rechtliche oder sonstige Ansprüche aus.

 

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