Von Thomas Grüner
Nachdem das Jahr 2020 bislang eines der volatilsten Jahre der Geschichte war, können Anleger, die diese Phase ohne dauerhaften Schaden überstanden haben, mit einem gewissen Stolz auf die vergangenen Monate zurückblicken. Zu verschiedenen Zeitpunkten des Jahres brauchte es durchaus eine Spur Mut und Vertrauen in die langfristig guten Aktienmärkte, um vollständig investiert zu bleiben und den langfristigen Plan nicht aus den Augen zu verlieren. Doch vergangenheitsorientierte Betrachtungen und Zufriedenheit helfen selten weiter. Die Zukunft ist vor allem immer eines, nämlich ungewiss. Und die Börse mag es, so viele Anleger wie möglich an der Nase herumzuführen!
Perfekte Kulisse? Fehlanzeige!
Gerade in Zeiten von großen Krisen ergeben sich Fragen, die keiner beantworten kann. Unsicherheit besteht immer, da keine Krisensituation einer anderen gleicht. Denn wäre die aktuelle Krise aus einer Blaupause der Vergangenheit ablesbar, so wäre diese höchstwahrscheinlich nicht entstanden. Man hätte einfach genug Maßnahmen ergriffen, um die Probleme zu beheben.
Hieraus leitet sich eine zeitlose Schlussfolgerung für alle Bullenmärkte ab: Kein Bullenmarkt startet vor einer perfekten Kulisse, sondern beinhaltet zu Beginn immer auch noch ungelöste Fragen. Die Stimmung ist immer gleich – pessimistisch. Mit der Zeit jedoch finden sich Lösungen für die entstandenen Probleme. Der Markt ist zu diesem Zeitpunkt jedoch schon weit von seinem Tiefpunkt entfernt. Wer die Anfangsphase verpasst, hat keine Chance die Bullenmarktrendite in Gänze in das eigene Portfolio zu transferieren.
Zweite Welle der Sorgen
Doch während sich die fundamentale Lage sukzessive verbessert, bleiben die Sorgen groß. Meist hängen die neuen Ängste zu Beginn mit den Auslösern der vergangenen Krise zusammen. So sorgen sich Investoren heute vor allem um eine zweite Welle, das Scheitern eines Impfstoffes oder eine zu optimistische Stimmung im Vergleich zur Realität. In der Krise 2009 wurde ebenfalls ein zweiter Abschwung befürchtet. Damals beschäftigte man sich jedoch nach der Finanzkrise mit Hypothekenkrediten, der Schuldenkrise Dubais oder der kommunalen Verschuldung.
Dass man sich heute kaum noch an die Sorgen der damaligen Zeit erinnern kann, ist übrigens ebenso nachvollziehbar. Wenn sich Entwicklungen im Nachhinein als nicht so schlimm herausstellen, werden sie schnell aus dem Speicher gelöscht. Der vergangene Weg war gedanklich immer einfach, die Zukunft hingegen ist immer ein Problem.
Fazit: Wer die aktuelle Marktphase unbeschadet überstanden hat, kann mit Recht stolz auf seine Leistungen als Investor sein. Nun ist die Fallhöhe zwar gestiegen, da der Markt sich inzwischen wieder auf höherem Niveau befindet – den Mut sollte man jedoch trotzdem nicht verlieren. Wir nennen dieses Phänomen „Break-Even-Itis“. Fallen Sie diesem Gefühl nicht zum Opfer, sondern verfolgen Sie weiterhin den langfristigen Plan. Nur so besteht die Möglichkeit, auch langfristig die Aktienmarktrendite im eigenen Portfolio zu entdecken.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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