Von Thomas Grüner
Egal wie man es dreht und wendet: Die Anleiherenditen sind historisch niedrig. Viele Anleger stellen sich deshalb die Frage, warum man überhaupt Anleihen halten sollte. Aus unserer Sicht besteht der Hauptzweck von Anleihen darin, die Volatilität des Portfolios zu dämpfen. Dementsprechend sind sie als Beimischung für Anleger geeignet, die beispielsweise laufende Entnahmen aus ihrem Portfolio tätigen wollen und gleichzeitig eine geringere Schwankungsbreite als optimal erachten.
Kuriose Zeiten
Zehnjährige US-Staatsanleihen notieren aktuell bei 0,93 Prozent, Bundesanleihen mit derselben Laufzeit bei -0,57 Prozent. Negativ! Auch die Renditen für Unternehmensanleihen sind einem langfristigen Abwärtstrend gefolgt, zuletzt notierten US-Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Bewertung erstmals unter 2 Prozent. In der wirtschaftlichen Expansionsphase von 2009 bis 2020 wurden noch Durchschnittswerte von 2,4 Prozent für US-Staatsanleihen und 3,5 Prozent für US-Unternehmensanleihen erreicht. Für Europa gehören Negativzinsen, gerade bei Staatsanleihen, bereits länger zum gewohnten Bild.
Diese Negativrekorde bedeuten jedoch nicht, dass Anleihen ihre Daseinsberechtigung grundsätzlich verloren haben. Kurzfristig schwanken sie tendenziell weniger als Aktien, diesen Punkt sollten Anleger weiterhin sorgfältig abwägen. Wenn die langfristigen Anlageziele darin bestehen, relativ hohe Cashflows aus dem Portfolio zu generieren, kann eine Mischung aus Aktien und Anleihen sehr vorteilhaft sein. Am Ende ist die Total Return-Betrachtung, die Kombination aus Preisbewegungen und Erträgen, das entscheidende Kriterium.
Dividenden sind natürlich ein hervorragender „Zinsersatz“, schwanken aber. Kurzfristig ist die Varianz der Aktienrenditen zusätzlich sehr hoch – weshalb regelmäßige Entnahmen zu einer ungewollten Belastung des Portfolios führen könnten, wenn hohe Entnahmen auf Zeiträume mit unterdurchschnittlichen Renditen treffen. Die geringere Standardabweichung der Anleiherenditen sorgt hierbei für einen hilfreichen Stabilisierungseffekt.
Positionierung zählt
Rekordtiefe Zinsen werden immer wieder als Anomalie interpretiert, die sich zwangsläufig auflösen muss. Diese Bewegung könnte dadurch unterstützt werden, dass die Wirtschaft den COVID-19-Gegenwind hinter sich lassen kann. Und da sich die Kurse der Anleihen invers zu den Zinsen entwickeln, ist hier nach Ansicht vieler Experten Vorsicht geboten. Diese Überlegungen sind zu einem gewissen Grad richtig, eine sorgfältige Positionierung im Anleihebereich hilft allerdings, dieses Risiko zu diversifizieren. Anleihen mit kürzerer Laufzeit sind weniger anfällig gegenüber Zinserhöhungen, und wer steigende Zinsen erwartet, kann den Einfluss auf die Gesamtrendite mit einer Verringerung der Duration im Anleiheportfolio abdämpfen. Zinsen hängen allerdings mit den Inflationserwartungen zusammen, deshalb sollte man primär die Frage untersuchen, was eine steigende Inflation verursachen kann. Aktuell ist eine leicht anziehende Inflation zu beobachten, die allerdings auch auf einen Basiseffekt zurückzuführen ist. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist weiterhin gering und die Kaufprogramme der Zentralbanken werden durch die Abflachung der Zinsstrukturkurve weiterhin disinflationär wirken.
Fazit: Für Anleihen gilt ebenso wie für Aktien: Es kommt auf den Grad der Beimischung im Portfolio an. Dann sind Anleihen für bestimmte Anlageziele eine gute Hilfe – diese Tatsache ändert sich auch durch rekordtiefe Zinsen nicht.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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