Von Thomas Grüner
Neues Jahr, neue Unruhe: Die „Erstürmung“ des Kapitols in den USA markiert den unrühmlichen Höhepunkt einer brisanten politischen Phase, viele Anleger blicken skeptisch auf die Wahlvorhaben von Joe Biden. Die Zahl der COVID-Fälle steigt an und erneute Lockdowns setzen insbesondere den Dienstleistungssektor unter Druck.
Allzeithochs und Krise?
Aus diesem Blickwinkel kann man durchaus die Frage stellen: Warum befinden sich die globalen Aktienmärkte eigentlich auf breiter Front im Bereich ihrer Allzeithochs? Auf dieses Grundprinzip bin ich in meinen vorangegangenen Kolumnen schon öfter eingegangen: Aktienmärkte verarbeiten nicht die Vergangenheit, sie blicken in die Zukunft. Auch wenn die Welt, die uns heute umgibt, von diversen Herausforderungen gekennzeichnet ist, so beschäftigen sich Aktienmärkte eben mit den wahrscheinlichen Rahmenbedingungen, die etwa drei bis 30 Monate in der Zukunft liegen. Was genau sehen also die Aktienmärkte voraus, um diese positive Antizipation zu rechtfertigen?
Blick in die nahe Zukunft
Angenommen, die Aktienmärkte würden sich auf das kurze Ende ihres Betrachtungszeitraums konzentrieren, also etwa drei Monate in die Zukunft. Dieser kurze Zeitraum genügt bereits, um die Tumulte in der US-Politik hinter sich zu lassen. Die ersten 100 Tage des gewählten US-Präsidenten Biden sind in diesem Zeitraum absolviert und Anleger werden ein relativ klares Bild von seiner Agenda erhalten. Schwindende politische Unsicherheit ist ein positiver Einflussfaktor für die Märkte. Ebenso wird die Verbreitung der Impfungen weiter vorangeschritten sein, was erhebliche Auswirkungen auf den Dienstleistungssektor haben wird. Und auch das rückwärts gerichtete Zahlenwerk wird Anleger nicht unnötig verwirren: Aufgrund der niedrigen Basis des ersten Quartals 2020 erwarten Analysten, dass der S&P 500 seine Gewinne im ersten Quartal 2021 auf Jahressicht um 16,5 Prozent steigern kann.
Blick in die fernere Zukunft
Je weiter man den Betrachtungszeitraum der Aktienmärkte nach hinten verlängert, desto höher fällt das Potential für eine Aufhellung der Lage aus. Die Impfstoffverteilung wird verschiedene Phasen erreichen, Anleger werden erkennen, dass mit der Präsidentschaft von Joe Biden kein massives legislatives Risiko einhergeht, und zwangsläufig wird sich mit fortgeführt steigenden Kursen auch die Anlegerstimmung weiter verbessern. Das gilt natürlich nicht für die Dauerskeptiker, welche nie von steigenden Märkten profitieren werden – und einige Anleger überspringen die optimistische Phase, um direkt ins euphorische Lager zu wechseln. Die Gier nach der perfekten Einzelaktie oder bahnbrechenden Kursgewinnen mit Kryptowährungen nimmt spürbar zu. Für die Aktienmärkte ist dies in erster Instanz aber noch kein Warnsignal. Optimismus sorgt für positive Dynamik und das Eintreten einer Euphorie an sich ist noch kein unmittelbares Signal für einen drohenden Bärenmarkt – lediglich ein warnender Hinweis für Anleger, dass sich der Zyklus in Richtung seiner natürlichen Endphase bewegt.
Fazit: Können Aktienmärkte die Zukunft perfekt vorhersehen? Nein, das ist natürlich nicht der Fall. Märkte bewegen sich stets dann dynamisch, um eine große Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Realität auszugleichen. Der Optimismus für 2021 erscheint uns gerechtfertigt – aber hüten Sie sich vor euphorischen Tendenzen, denn sie bedeuten bei der Geldanlage in der Regel unnötiges Risiko.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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