Von Thomas Grüner
Wer regelmäßig Finanzmedien konsumiert, stellt unweigerlich fest, dass sich die Marktstimmung in den vergangenen Monaten spürbar aufgehellt hat. Einige Experten, die den vorangegangenen Bullenmarkt von 2009 bis 2020 stets argwöhnisch betrachtet hatten, blicken mittlerweile optimistischer auf bestimmte Themen. Die kurze Panikattacke, die mit dem schnellsten Bärenmarkt der Geschichte im ersten Quartal 2020 aufgetreten ist, scheint auf breiter Ebene überwunden zu sein. Noch ist keine weitreichende Euphorie zu entdecken, da die Erwartungen an die Wirtschaft insgesamt vernünftig erscheinen, aber der Optimismus greift zunehmend um sich.
Beispiele häufen sich
Das Thema „Aktienrückkäufe“ steht stellvertretend für mehr Zuversicht. In den vergangenen Jahren fiel die Berichterstattung über Aktienrückkäufe der Unternehmen stets kritisch aus. Die Unternehmen würden Kurskosmetik betreiben, den Gewinn pro Aktie verfälschen und eine künstliche Nachfrage schaffen. Aus der heutigen Sicht handelte es sich dabei um typische Ängste, welche die sprichwörtliche Mauer der Angst verfestigten. Jetzt, da die Rückkaufprogramme nach dem COVID-Schock wieder anlaufen, ist der Tenor jedoch ein anderer. Experten sehen es als positives Zeichen für das Vertrauen der Unternehmen in die eigenen Erfolgsaussichten. Wohlwollend wird erwähnt, dass dies ein Zeichen gesunder Unternehmensbilanzen sei und Rückkäufe eine zusätzliche Nachfrage in einer intakten Boom-Phase darstellen.
Fokus auf Angebot und Nachfrage
Man sollte jedoch nicht den Fehler begehen und Aktienrückkäufe isoliert betrachten. Beispielsweise gab die Fed im Bankenbereich grünes Licht für die Wiederaufnahme der Aktienrückkäufe, nachdem die Stresstests im vergangenen Jahr erfolgreich absolviert wurden. Viele Marktbeobachter sprachen von einem „Zaubertrank“ für Finanzaktien. Dabei wird allerdings die Vorgeschichte nicht beachtet. Viele Banken mussten in der Finanzkrise von 2008 bis 2009 massiv neue Aktien ausgeben, um sich über Wasser zu halten oder die erzwungenen Voraussetzungen für staatliche Unterstützung zu erfüllen. Die Ausgabe neuer Aktien verwässert das Ergebnis für Aktionäre, da der Wert des Unternehmens durch eine höhere Zahl an Anteilsscheinen geteilt wird – und ist ein Grund dafür, warum sich die Finanzaktien zwischen 2009 und 2020 im Vergleich zum Gesamtmarkt nur mäßig entwickelt haben. Somit sollten die neuesten Aktienrückkäufe nicht als Zeichen von relativer Stärke gesehen werden, sondern eher als Teil einer finalen Bewältigung der vorangegangenen Krise.
Im Gegenzug ist es ebenso wichtig, einen sorgfältigen Blick auf die Vorgänge zu werfen, die das Aktienangebot erhöhen. Bei neuen Börsengängen ist aktuell eine erhöhte Dynamik zu beobachten, 178 Milliarden US-Dollar bedeuteten im Jahr 2020 einen US-Rekord. Einfluss üben auch die Angebote auf dem Sekundärmarkt, die Ausgabe von Mitarbeiteraktien und Kapitalerhöhungen aus – in der Summe gilt es zu überblicken, ob die Nachfrageerhöhung die Angebotsverknappung um Längen schlägt und kaum jemand Notiz davon nimmt. Dies wäre ein deutliches Zeichen für eine weitreichende Euphorie.
Fazit: Der Optimismus wächst – freuen Sie sich darüber. Gesteigertes Anlegervertrauen ist ein wichtiger Bestandteil für die Aufwärtsdynamik in einem Bullenmarkt. Führen Sie sich aber bereits jetzt vor Augen, welche Gefahren eine Euphorie heraufbeschwören kann. Denn wenn es tatsächlich soweit ist, fällt es etwas schwerer als heute, einen kühlen Kopf zu bewahren.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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