Von Bernd Niquet
Es sind wirklich außerordentliche Dinge, die da gerade an den Börsen passieren. Vieles habe ich schon erlebt, vieles allerdings auch nicht.
Gerade habe ich mal gerechnet, 1976 habe ich meine Bankausbildung begonnen und war von da an eigentlich ständig mit der Börse beschäftigt und auch mit eigenem Geld investiert. Das sind jetzt 45 Jahre, noch keine Kostolany-Dimension, aber nicht schlecht, oder? Und mir sind immer noch nicht die Haare ausgefallen. Und nicht einmal grau sind sie geworden.
Doch kann ich die Erfahrung von so vielen Börsenjahren heute nutzen? Lernt man im Laufe der Zeit genug? Ja, man lernt viel, doch nutzt das auch viel? Jein.
Vielleicht ist es ein gutes Beispiel, dass jetzt gerade wieder die Brokeraktien in die Höhe schießen. Und die Technologie haussiert. Ich weiß noch sehr gut, wie das am Ende der 90er Jahre war, in der Hausse des Neuen Marktes. Zwei Gruppen von Akteuren will ich herauspicken:
(1) Auf der einen Seite waren da die Frischlinge, die Neubörsianer, die zunächst irrwitzige Kursgewinne eingefahren, am Ende jedoch alles wieder verloren haben.
(2) Und auf der anderen gab es die super-erfahrenen Börsianer wie André Kostolany, Hans A. Bernecker und noch einige andere, die sofort gesehen haben, dass vieles dort Schwindel war gar nicht erst mitgemacht haben. Im Endeffekt war das jedoch auch nicht erfolgreicher als Gruppe (1).
(Quintessenz): Man darf also nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel Erfahrung haben. Ich war mir damals meiner Situation sehr klar bewusst, einerseits noch genug jugendlichen Wagemut zu besitzen, andererseits aber auch sehr genau zu wissen, auf was ich mich da einlasse. Und so habe ich von der Spitze weg im Einbruch damals nur 30 Prozent verloren.
Heute nun betreten wir wieder Neuland. Während es für mich damals ziemlich klar war, dass die Hausse die Hausse nährt, das alles aber irgendwann zusammenbrechen wird, würde ich mir heute so ein Urteil nicht mehr anmaßen.
Heute geht es um mehr, mit allen damit verbundenen Chancen und Risiken. Es geht um unsere Energieversorgung und damit um das gesamte Leben aller – und nicht nur um ein paar technische Spielereien, die sich zwar als sehr entscheidend erwiesen haben, aber damals galt es kein Weltproblem wie heute zu lösen.
Und kann man mit Fällen wie GameStop vielleicht den alten Traum vom Sozialismus doch noch einmal träumen, dass dann, wenn sich alle zusammentun, es auch allen besser geht und eine größere Gleichverteilung erreicht wird? Ich glaube das zwar nicht, denn man kommt zwar trefflich gemeinsam herein, treibt die Kurse gemeinsam erfolgreich in gigantische Höhen, doch man kommt nicht mehr gemeinsam heraus.
Doch wer weiß, was noch alles für Flashmob-Konzepte geboren werden? Eine Pandemie ist ja eigentlich auch ein Flashmob, allerdings ein gleichsam umgedrehter und negativer.
Um eine Idee zu bekommen, wo wir im Vergleich zum Ende der 90er Jahre stehen könnten, hier einmal Blick auf die Brokeraktien. Das war ja damals die erste große Nummer, noch bevor der Neue Markt richtig in Fahrt kam.
Ich war damals stark in diesen Aktien engagiert. Und was da abgegangen ist, ist wirklich atemberaubend. Ballmaier & Schultz, die später in die Baader Bank eingebracht wurden, hatte ich 1996 zu 600 DM gekauft und 1997 zwischen 5.000 und 10.000 DM verkauft. Und beim Berliner Freiverkehr lag der Kauf zum selben Zeitpunkt bei 170 DM und der Verkauf bei 1.200 DM.
Das sind Steigerungen zwischen 600 und 1.500 Prozent auf ein Jahr. Heute kommt die Baader Bank in den vergangenen 12 Monaten auf gut 400 Prozent und der Spitzenreiter Lang & Schwarz auf etwas mehr als 600 Prozent.
Danach hätten wir noch eine Menge Luft nach oben. Hinzu kommt auch noch, dass Makleraktien immer Vorläufer eines Trends sind. Damals jedenfalls hatten wir 1998 die besten zwei Jahre noch vor uns.
Und: Ich glaube, dass die Technologieunternehmen heute sicherer dastehen als Ende der 90er Jahre. Damals war das alles nur Phantasie und Erwartung, heute jedoch ist es in vielen Bereichen gut durch Zahlen unterfüttert und damit seriöser.
Nicht zu vergessen auch noch: Damals war Geld knapp und kostete Zinsen, heute hingegen ist es überschüssig. Damals war die Geldhaltung profitabel, heute hingegen kostenträchtig.
So richtig pessimistisch kann man da bei allen Risiken eigentlich nicht werden, oder?
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
******* Von Bernd Niquet ist ein n e u e s Buch erschienen *******
Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. SECHSTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2020, 621 Seiten, 22 Euro
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Bernd Niquet und seine Tagebücher: „Der wirkliche Donnerschlag kommt dann mit Verzögerung. Auch braucht mein Inneres einige Zeit, um ihn zu realisieren. Doch als die Dinge dann klar sind und in mir sacken, mache ich etwas, was ich vorher beim Tagebuchschreiben noch niemals gemacht habe. Ich unterstreiche die wichtigen Passagen nicht wie sonst mit meiner blauen Tinte, sondern mit schwarzem Filzstift. Einunddreißig Jahre schreibe ich mittlerweile Tagebuch, das zeigt die Dimension. Hinterher bin ich selbst erschrocken. Das Tagebuch sieht jetzt aus, als sei jemand gestorben. Und in meinem Inneren fühlt es sich auch tatsächlich so an.“
Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und lebt in einem ruhigen Außenbezirk von Berlin. Die vorangegangenen fünf Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2018 und 2019.
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