Von Bernd Niquet
Es ist schon wirklich gespenstisch und fast sogar putzig: Aus dem Volk, das Europa mit Krieg und Mord überzogen hat, ist heute ein Volk von großen Kindern geworden, das mit einem Regenbogen Zeichen setzen möchte.
Beim Anschauen der ersten Tagesschau zu diesem Thema hätte ich mich gerne selbst gefilmt gesehen. Natürlich wusste ich, worum es geht, doch verstanden habe ich nicht, was dort erzählt wurde. Denn da hieß es, es ginge darum, dass die Ungarn Menschen diskriminieren, weil dort bald keine LGBTQ-Bilder mehr gezeigt werden dürfen. Bitte was?
Und das alles wurde auch noch englisch ausgesprochen. Das ist kein Witz. Die Sprecherin hat wirklich gesagt: Äl-Dschi-Bi-Ti-Kjuh-Bilder. Mich würde sehr interessieren, wie das Stammpublikum des Öffentlich-rechtlichen-Fernsehens ab 70 Jahre das aufgenommen hat.
Später habe ich im Internet nachgeschaut, was dieser Begriff bedeutet. Doch wo da die Diskriminierung liegt, erschließt sich mir nicht. Ich muss eher immer an eine ungarische Salami denken, aber lassen wir das.
Vielleicht sollten wir uns lieber darum bemühen, wieder einen Fußball geradeaus schießen zu können und die anderen Länder machen zu lassen, was sie selbst für richtig halten. Für mich ist das Freiheit.
Doch heute haben wir ja einen ganz anderen Begriff von Freiheit. Die Freiheit von heute ist nicht mehr das, was man selbst für richtig hält, sondern das, was eine nicht demokratisch gewählte Machtclique für richtig hält.
Und ich kann Ihnen nur raten, schauen Sie nicht nach, was unter dem Regenbogen-Symbol alles verstanden wird. Bei Wikipedia steht dazu: Es gilt als Symbol für Harmonie, Ganzheitlichkeit, Naturschutz oder als Zeichen der Verbindung zwischen Himmel und Erde.
Feuer, Wasser, Himmel und Erde – hatten wir das nicht schon einmal? Großer griechischer Gott, allmächtiger.
Und die Regenbogenfahne stehe in zahlreichen Kulturen weltweit für Aufbruch, Veränderung und Frieden, und sie gilt als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz, der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht.
Also für alles und auch für das Gegenteil davon. Wie heißt es doch so schön: Wer nach allen Seiten offen ist, der kann nicht ganz dicht sein.
Über eine Sache habe ich mich jedoch noch weit mehr geärgert als über diesen Regenbogen-Unsinn.
Andrzej Wajda gilt als einer der bedeutendsten Filmemacher unseres Nachbarlandes Polen. Er hat eine Film-Trilogie über Lech Walesa gedreht, der von 1980 - 1990 Solidarnosc-Vorsitzender und von 1990 - 1995 Staatspräsident Polens gewesen ist, aus der mich vor allem der letzte Film von 2013 „Walesa. Der Mann aus Hoffnung“ sehr interessiert. Ich würde ihn mir zu gerne anschauen.
Denn ich bin mir sicher, ohne diesen Mann hätte es keinen Fall der Mauer in Deutschland und in Europa gegeben. Für mich ist Walesa der größte Held der vergangenen Jahrzehnte in Europa. Seine Verdienste sind grenzenlos.
Doch glauben Sie, es gäbe eine deutsche Synchronfassung dieses Filmes? Nein, Fehlanzeige. Bei uns in Deutschland weiß zwar jedes Kind, wie sich Schwulen und Lesben fortpflanzen, doch Lech Walesa hält man wohl für eine Biermarke.
Und der Filmindustrie geht es wohl auch nicht anders, denn vor lauter Homoerotik hat es dort niemand geschafft, diesen Film nach Deutschland zu bringen.
Aber wozu auch? Ich fange langsam an, es zu verstehen. Schließlich war ja Walesa weder schwul noch schwarz, und eine Frau ist er auch nicht gewesen. Er hat also keinen Platz unter dem Regenbogen.
Den Weg bis hinter den Regenbogen werden wir daher wohl allein gehen. Bis zum endgültigen Sieg der Toleranz über die Toleranz.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
******* Von Bernd Niquet ist ein n e u e s Buch erschienen *******
Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. SECHSTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2020, 621 Seiten, 22 Euro
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Bernd Niquet und seine Tagebücher: „Der wirkliche Donnerschlag kommt dann mit Verzögerung. Auch braucht mein Inneres einige Zeit, um ihn zu realisieren. Doch als die Dinge dann klar sind und in mir sacken, mache ich etwas, was ich vorher beim Tagebuchschreiben noch niemals gemacht habe. Ich unterstreiche die wichtigen Passagen nicht wie sonst mit meiner blauen Tinte, sondern mit schwarzem Filzstift. Einunddreißig Jahre schreibe ich mittlerweile Tagebuch, das zeigt die Dimension. Hinterher bin ich selbst erschrocken. Das Tagebuch sieht jetzt aus, als sei jemand gestorben. Und in meinem Inneren fühlt es sich auch tatsächlich so an.“
Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und lebt in einem ruhigen Außenbezirk von Berlin. Die vorangegangenen fünf Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2018 und 2019.
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