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Nur noch 10 Jahre, dann ist Schluß

Donnerstag, 26. August 2021 um 09:53

Von Bernd Niquet

In meiner Zeitung gibt es wunderbare Leserbriefe, die mir manchmal sogar besser gefallen als die Artikel. Das liegt vor allem daran, dass die Leser sich nicht an die politische Korrektheit halten müssen und mittlerweile wohl die Leserbrief nicht mehr wie vorher wie in Russland zensiert werden.

In diesem Fall ist es sogar ein eigentlich harmloser Leserbeitrag, der jedoch enorm trocken daherkommt, denn da meint jemand, na ja, Deutschland bekleckere sich gegenwärtig nicht gerade mit Ruhm, doch wenn man dann erst einmal merken würde, dass auch die Deutschen keine Lust mehr haben, ihre Staatsanleihen zurückzuzahlen... .

Ups, denke ich in diesem Moment, zu diesem Zeitpunkt ist dann wohl wirklich das Ende der Fahnenstange erreicht. Dann werden die Aktien zwar weiter steigen, doch was sonst noch passiert, weiß keiner. Und dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommt, ist klar. Das weiß jeder, der rechnen kann. Wir leben also im Grunde genommen nur von der Tatsache, dass niemand weiß, wann es passiert.

Doch mit unserem Leben ist es ja auch nicht anders. Jeder von uns wird sterben, aber keiner weiß, wann. Und genau deswegen funktioniert es.

Interessanterweise stoße ich mitten in diesen Gedanken auf einen Artikel über das Buch einer Frau, der im Alter von nur knapp über 40 Parkinson diagnostiziert und mitgeteilt wird, sie habe nur noch etwa zehn Jahre zu leben.

Ich finde dieses Thema interessant. Was macht man dann? Ein Buch schreiben, das habe ich ja schon verraten. Doch wie leben? Die Frau schreibt in dem Artikel, sie sei zu der Erkenntnis gekommen, etwas anderes mit ihrem Leben anzufangen, als Party zu machen, Drogen zu nehmen und zu verdrängen.

Eine bemerkenswerte Erkenntnisse für einen Menschen über 40, finde ich. Das wäre allerdings wohl auch ohne Parkinson angesagt gewesen. Dennoch bleibe ich interessiert.

Als ich dann jedoch in das Buch hineinschaue, sehe ich eine Reise an die andere gereiht. Hm. Die Frau hat anscheinend die Party und die Drogen durch das Reisen ersetzt. Und die Verdrängung durch die Flucht. Das will ich jetzt aber gar nicht mehr wissen, mein Interesse ist erloschen.

Natürlich verstehe ich es, dass man dann, wenn man vielleicht nicht mehr so kann wie vorher, versucht zu beweisen, jetzt erst recht alles schaffen zu können. Doch ist das ein kluger Weg? Ich habe da meine Zweifel.

In das Leserboard schreibe ich daher: „Was ist eigentlich ein erfülltes Leben? In der Welt herumzuturnen oder die innere Einkehr?“ Doch es hat niemand so recht Lust, darauf zu antworten. Nur einer schreibt und meint, es ginge doch beides.

Mich überzeugt das nicht. Für mich ist beides keines. Und ich überlege mir: Was haben die Menschen eigentlich vor dem Flugtourismus gemacht, bevor sie das ganze Jahr um die Welt jetten konnten?

Und wenn das nun mit den Dauerreisen wirklich so klasse und horizonterweiternd ist, warum waren die Menschen dann eigentlich früher so viel gebildeter und lebenskluger? Wie haben Kant und Goethe ihr Leben und Werk hinbekommen ohne die jährliche Weltreise?

Und am Strand haben die beiden auch nicht gelegen, oder? Es gibt jedenfalls keine Fotos davon. Das Leben ist wirklich ein einziges Rätsel.

Vielleicht hätten auch die Mönche mal nach Übersee fliegen sollen und wären dort auf tolle Ideen gekommen?

Aber jetzt ist ja sowieso alles anders. Bald wird es schließlich Flugtourismus nur noch ohne Flugtourismus geben, weil das mit dem CO2 nicht anders geht. Vielleicht ist es daher auch ohne Parkinson richtig, noch einmal ein paar Jahre voll auf Droge zu sein.

Und wenn dann irgendwann Schluss ist, ist es wenigstens nicht mehr schad drum.

 

Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet

 

******* Von Bernd Niquet ist ein n e u e s Buch erschienen *******

Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. SECHSTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2020, 621 Seiten, 22 Euro

Am besten portofrei direkt beim Verlag bestellen: www.engelsdorfer-verlag.de

oder bei Amazon


 

Bernd Niquet und seine Tagebücher: „Der wirkliche Donnerschlag kommt dann mit Verzögerung. Auch braucht mein Inneres einige Zeit, um ihn zu realisieren. Doch als die Dinge dann klar sind und in mir sacken, mache ich etwas, was ich vorher beim Tagebuchschreiben noch niemals gemacht habe. Ich unterstreiche die wichtigen Passagen nicht wie sonst mit meiner blauen Tinte, sondern mit schwarzem Filzstift. Einunddreißig Jahre schreibe ich mittlerweile Tagebuch, das zeigt die Dimension. Hinterher bin ich selbst erschrocken. Das Tagebuch sieht jetzt aus, als sei jemand gestorben. Und in meinem Inneren fühlt es sich auch tatsächlich so an.“

Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und lebt in einem ruhigen Außenbezirk von Berlin. Die vorangegangenen fünf Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2018 und 2019.

Der obige Text spiegelt die Meinung der jeweiligen Autoren wider. Instock übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche rechtliche oder sonstige Ansprüche aus.

 

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