Von Thomas Grüner
Sollten Anleger ausschließlich Aktien besitzen oder eine Mischung aus Aktien und Anleihen wählen, um ihre Ruhestandsziele zu erreichen? Eine neue wissenschaftliche Arbeit hat für Aufsehen gesorgt, weil sie der reinen Aktien-Allokation eindeutige Vorteile zuspricht. Die Studie ist zwar interessant, aber die Auswirkungen auf die Praxis sind unserer Meinung nach differenzierter. Die „optimale“ Vermögensallokation hängt von der jeweiligen Person ab und sollte nicht pauschal definiert werden. Zwischen Theorie und Praxis herrscht zudem in der Regel eine große Diskrepanz, die es ebenfalls zu beachten gilt.
US-Studie stellt Anleihen in Frage
Die Studie, die für Schlagzeilen sorgt, stellt die herkömmliche Weisheit in Frage, nach der Anleihen in einem diversifizierten Portfolio zu Altersvorsorgezwecken eine unbestrittene Rolle spielen. Mithilfe einer Datensimulation haben die Professoren eine Million Szenarien eines US-amerikanischen Ehepaars durchgespielt, das 40 Jahre lang das Ersparte investiert und im Alter von 65 Jahren in Rente geht (und dann jährlich 4 Prozent seines Startwerts inflationsbereinigt abhebt, um die Lebenshaltungskosten zu finanzieren). Getestet wurden Vermögensallokationen mit 100 Prozent festverzinslichen Wertpapieren, 100 Prozent US-Aktien, eine 50-50-Mischung aus diesen beiden Komponenten und weitere Mischungsverhältnisse. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es für Anleger besser ist, nur Aktien statt einer Mischung zu besitzen, da die langfristigen Renditen die Bemühungen überwiegen, Marktschwankungen mit Hilfe von Anleihen auszugleichen.
Realität zählt
Es ist sicherlich richtig, dass Aktien über längere Zeiträume in der Vergangenheit deutlich besser abgeschnitten haben als Anleihen – je höher der Aktienanteil, desto höher das langfristige Wachstumspotential eines Portfolios. Die wichtige Frage ist jedoch: Kommt dieses Potential auch in der Realität an? Leider ist die reale Anlagepraxis viel komplizierter, als es eine Simulation vermuten lässt. Kompromisse zwischen langfristigen Renditen und kurzfristiger Volatilität müssen eingegangen werden, sie besitzen dabei für verschiedene Anleger eine ganz unterschiedliche Relevanz. Was nutzen die höchsten „Renditechancen“ demjenigen Anleger, der in einer kritischen Marktphase dem Drang erliegt, sein Portfolio glattzustellen? Der einen gewissen Zeitraum braucht, um wieder Vertrauen zu den Aktienmärkten zu fassen, und somit von der sich anschließenden Erholungsbewegung nicht profitieren kann? Marktrenditen sind für viele Aktienanleger nicht nur theoretisch, sie sind utopisch!
Und somit kommt Anleihen eine besondere Bedeutung zu, die sich nicht in historischen Renditen ausdrücken lassen – sie sind tendenziell in der Lage, Schwankungen im Portfolio abzudämpfen und die „tatsächlich erreichte“ Rendite eines Anlegers zu verbessern. Denn in der Praxis verringert ein gemischtes Portfolio das Risiko, in Zeiten stark rückläufiger Märkte den Zwang zu verspüren, alles zu verkaufen und dadurch emotionale Fehlentscheidungen zu treffen, die das langfristige Renditeziel gefährden.
Fazit: Investitionen können emotional sein und wenn ein Anleger mit einem reinen Aktienportfolio in schwierigen Phasen nicht diszipliniert bleibt, wird er die theoretischen Renditen, die der breite Aktienmarkt anbietet, niemals in die Realität transferieren können. Die Beimischung von Anleihen kann also durchaus sinnvoll sein – wenn dadurch dem Anleger emotional geholfen wird, seinen langfristig eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende zu gehen.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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