Von Thomas Grüner
Im laufenden Börsenjahr ist die Volatilität bis heute ungewöhnlich gering. Bisher verzeichnete der MSCI World Index zehn Tagesschwankungen von mehr als 1 Prozent nach oben oder unten, was nur 8,8 Prozent der Handelstage in diesem Zeitraum entspricht. Der Durchschnitt seit dem Jahr 1980 liegt mit 17,9 Prozent rund doppelt so hoch. Größere Tagesschwankungen von 2 Prozent oder mehr traten im globalen Aktienmarkt bisher nicht auf, der größte Kursrücksetzer verursachte im April einen temporären Rückgang von lediglich 5,1 Prozent.
Angesichts dieses friedlichen Zahlenwerks bemerken Anleger allmählich, dass die Volatilität fehlt. Einige argumentieren, dass sie versteckt abläuft und einzelne Aktien sehr wohl überdurchschnittlich schwanken, sich diese Bewegungen allerdings auf Indexebene wieder ausgleichen. Andere sehen diese „Ruhe“ mit großer Sorge und stellen fest, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Volatilität wieder mit Macht zuschlägt.
Normalität am Aktienmarkt
Volatilität lässt sich nicht kurzfristig vorhersagen und Zeiten mit geringer Volatilität ziehen keine Zeiten mit hoher Volatilität nach sich. Timing-Versuche haben somit eine geringe Aussicht auf Erfolg. Weitaus sinnvoller ist es unserer Meinung nach, sich in ruhigen Phasen mental auf eine höhere Volatilität vorzubereiten – die am Aktienmarkt nichts anderes bedeutet als Normalität. Die Märkte erscheinen oft riskanter, wenn sie heftig schwanken, was zu emotionalen Reaktionen führt und Aktionismus hervorruft. Tendenziell ist es jedoch kontraproduktiv, auf vergangene Kursbewegungen zu reagieren. Sofern sich kein eindeutiger Bärenmarkt entwickelt, ist es in der Regel am klügsten, kurzfristige Kursrückgänge einfach auszuhalten. Betrachten Sie die anhaltende Volatilität als den Preis, den Sie für die überlegene Rendite der Aktienmärkte zahlen müssen. Mehr Volatilität ist dabei nicht gleichzusetzen mit „mehr Risiko“ – im Gegenteil, Aktien können maßgeblich dazu beitragen, Ihre langfristigen finanziellen Ziele zu erreichen.
Vorteilhaft per Definition
Dies mag ein schwacher Trost sein, wenn Ihr Portfolio tatsächlich in eine schwierige Phase gerät. Aber die Volatilität sagt nichts über das Ende eines Bullenmarktes oder den Beginn eines Bärenmarktes aus. Letztere beginnen ohnehin selten mit einem „Knall“. Beim erfolgreichen Investieren geht es nicht um das Timing kurzfristiger Schwankungen. Es geht vielmehr darum, dass man sehr viel öfter Aktien besitzt, als an der Seitenlinie zu stehen – nur so können Bullenmärkte wirklich ausgenutzt werden.
Aktien weisen in Bullenmärkten im Allgemeinen eine positive Volatilität auf. Die langfristigen Renditen des S&P 500 liegen bei etwa 10 Prozent jährlich, Bärenmärkte mit eingeschlossen. Aktien steigen dabei in drei Viertel der Kalenderjahre an. Betrachtet man nur die Bullenmärkte, so steigt der S&P 500 im Durchschnitt 23 Prozent auf Jahresbasis. Das bedeutet, dass die Volatilität per Definition viel häufiger zu Ihren Gunsten ausfällt als umgekehrt.
Fazit: An den Aktienmärkten kann es jederzeit zu unverhoffter Volatilität kommen. Das Ziel sollte nicht darin bestehen, sie perfekt zu timen, sondern sie als normal zu akzeptieren und sich emotional zu wappnen. Halten Sie sich tendenziell von Finanznachrichten fern, wenn die Emotionen wieder einmal hochkochen. Suchen Sie sich eine gesunde Ablenkung von der Unruhe rund um die Aktienmärkte – und Sie werden feststellen, dass es unglaublich einfach sein kann, erfolgreich mit der Volatilität am Aktienmarkt umzugehen.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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