Von Bernd Niquet
Ich hoffe nichts mehr, als dass der mit Wladimir Putin ausgehandelte Waffenstillstand tatsächlich eintritt und zu einer deutlichen Verbesserung der Situation in der Ukraine führen wird. Allein mir fehlt der Glaube.
Ich finde es auch haarsträubend falsch, wie unsere Kanzlerin und die gesamte Bundesregierung sich in dieser Angelegenheit verhalten. Wie kann man in Verhandlungen gehen, wenn man bereits vorher militärische Konsequenzen generell ausschließt?
Aber genau diese Geisteshaltung ist heute zu unserem gängigen Lebensmodell geworden. Wenn wir das Wort „militärisch“ einmal streichen, können wir das allgemeine Modell erkennen, das hier dahinter steckt. Ich nenne es das Berliner Modell.
In Kurzform bedeutet es: Wir lassen prinzipiell jeden alles weitgehend ungestraft machen, was dann auch geschieht, weil eigentlich niemand wirklich harte Konsequenzen zu fürchten hat. Redet heute eigentlich noch jemand über die Krim?
Sehr klar ist mir die Allgemeingültigkeit des Berliner Modells in dieser Woche an einem vergleichsweise lapidaren Fall geworden: In Berlin haben die Öffentlichen Verkehrsbetriebe die Anzahl der Kontrolleure stark erhöht, um die Schwarzfahrerquote zu senken. Die Zahl der gestellten Strafanträge hat sich daraufhin bei der BVG von 2.000 auf 34.000 und bei der S-Bahn von 12.000 auf 20.000 erhöht.
Doch was passiert? Es passiert dasselbe wie bei den Demonstrationen in Leipzig. Der Staat kann die Bewältigung seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen, weil er sein Geld anderswo verpulvert, aber bei der Polizei und im Rechtssystem immer mehr spart.
Und so greift dann auch hier der Mechanismus, der immer kommt: Zur staatlichen Unfähigkeit gesellen sich die Moralapostel, die darauf hinweisen, dass sich viele Leute die teuren Bus- und Bahntarife nicht mehr leisten können und votieren für ein Steuerumlagesystem. Jedenfalls wenn es nach den Grünen, Linken und Piraten geht. Doch sind nicht heute mittlerweile alle irgendwie grün, links und Piraten?!
Zahlen sollen ab sofort nicht mehr diejenigen, die die Nahverkehrsmittel nutzen, sondern der Steuerzahler. Es ist das Gleiche wie beim Griechenland-Modell. Und Herr Tsipras wäre ja genauso wie Herr Putin schön doof, wenn er die Nachgiebigkeit unserer Führung und die der anderen europäischen Staaten nicht ausnutzen würde.
Was soll denn auch passieren? Mit wirklichen Konsequenzen ist doch nicht zu rechnen. Wir lassen doch niemanden untergehen. Wir können doch zur Not unsere Staatsschulden immer noch weiter ausdehnen und haben ja auch stets noch die EZB in der Hinterhand.
Vielleicht finanziert die ja bald selbst unseren öffentlichen Nahverkehr – gegen den Ankauf gebrauchter Straßenbahnfahrscheine. Von wegen kein Karneval in Berlin. Bei uns haben wir 365 Tage im Jahr Karneval. Aber so richtig lustig ist das eigentlich nicht.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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Bernd Niquet, „Die bewusst herbeigeführte Naivität“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2014, 265 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-95744-306-9.
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