Von Bernd Niquet
Ist es nicht merkwürdig, dass der deutsche Aktienmarkt jetzt genau in denselben Tagen abstürzt, in denen auch unser Flugzeug abgestürzt ist? Gibt es da vielleicht Leute, die mehr wissen?
Ich habe bei diesem Unfall sofort an eine Selbstmordtat gedacht, meine Aktien jedoch nicht verkauft. Doch man überlege sich einmal, es würde dem IS gelingen, nicht nur deutsche Jugendliche, sondern auch Piloten …? Dann würde es am Himmel über uns vielleicht bald aussehen, wie auf den Straßen von Bagdad. Und die Fernsehsender könnten rund um die Uhr eine Sondersendung nach der nächsten machen.
Was wäre wohl, wenn an diesem Gedanken auch nur etwas dran wäre, oder andere Menschen sie ebenfalls hegen und Passagiere beim Einsteigen mitbekommen, dass der Pilot arabisch aussieht? Oder man denke daran, ein Pilot würde einen Rauschebart tragen, ob er dann wohl noch seine eigenen Freiheitsrechte geltend machen könnte?
Wenn ich in dieser Woche den Fernseher eingeschaltet habe, hatte ich stets den Eindruck, dass dies der erste Flugzeugabsturz gewesen ist, den die Welt erlebt. Da werden gerade im Vorderen Orient ganze Völker abgeschlachtet, doch das zählt gar nichts gegen einen Unfall, bei dem Deutsche ums Leben gekommen sind.
Ist das nicht eigentlich auch ein Fall von Rassismus, wenn das Leben der eigenen Bürger in so einem Maße mehr geschätzt wird als das von anderen?
Und dann diese ganzen Mitleidsbekundungen. Warum erheben dieselben Leute, die jetzt täglich rund um die Uhr in Gedanken bei den Opfern und ihren Familien sind, ihre Stimme nicht, wenn in der Ukraine, die ja auch zu Europa gehört, Menschen, die für ihre Freiheit kämpfen, erschossen werden?
Und wie schafft man es eigentlich schon rein von der Logik her, in Gedanken bei Menschen zu sein, die man überhaupt nicht kennt und niemals zuvor je gesehen hat?
Doch ich weiß natürlich sehr gut, warum das alles so ist. Das Unwissen quält so sehr, dass die Menschen sich sogar Erklärungssendungen anschauen, von denen sie genau wissen, dass sie dort keine Erklärung geliefert bekommen können, weil niemand etwas weiß. Und das Mitleid für die anderen ist letztlich ein Mitleid mit sich selbst, nämlich dass einem so etwas auch passieren könnte. Wenn die Menschen ehrlich wären – und zudem in Lage, ehrlich in sich selbst hineinzuhorchen – würden sie es auch zugeben.
Doch so ist unsere Welt eben nicht. Wir bevorzugen Theateraufführungen gegenüber der Wirklichkeit. Und wenn in meiner Nähe eine Bombe einschlägt, ist das für mich weit gravierender, als wenn sie dort, wo ich nicht hinschaue, jemanden tötet.
Vielleicht ist das ja auch ganz gesund so, genau wie die Korrektur am Aktienmarkt. Ein bisschen verlogen bleibt es jedoch allemal.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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Bernd Niquet, „Die bewusst herbeigeführte Naivität“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2014, 265 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-95744-306-9.
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