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Gibt es hier auch noch einen anderen Ausgang?

Donnerstag, 29. Dezember 2016 um 13:25

Von Bernd Niquet

Schon wieder ist ein Jahr um. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle kurz ein paar Reflexionen zum neuen Jahr bringen, bis sich für mich die folgende Geschichte ereignet hat, die ich so großartig und tiefsinnig finde – vor allem auch in Hinsicht auf die Aussicht auf 2017 – dass ich sie hier unbedingt bringen muss.

Der Ort der Handlung ist ziemlich banal. Der Mann, der neben mir am Pissoir des großen Restaurants steht, sagt „Guten Tag!“ als er kommt, was mir in Berlin noch niemals passiert ist. Er ist dann vor mir am Waschbecken, wäscht sich die Hände und geht anschließend – jedoch nicht in Richtung des Ausgangs, sondern in die der Klohäuschen.

Oh weh, denke ich und überlege, was jetzt wohl akustisch auf mich einprasseln könnte, denn es muss ja ziemlich eilig sein, so unmittelbar nach dem Händewaschen. Doch nichts dergleichen, es poltern nur mehrere Türen in diesem wirklich unüblich dunklen und engen Bereich – und dann steht der Mann wieder vor mir.

Und sagt den wunderbaren Satz, der mich anschließend die halbe Nacht kostet, weil ich andauernd wieder darüber lachen muss und vor Schluckauf nicht einschlafen kann: „Gibt es hier auch noch einen anderen Ausgang?“

Ich entgegne: „Sie haben sich verirrt“, zeige in die entgegengesetzte Richtung und sage: „Der Ausgang ist dort!“ „Aha!“ Glücklich zieht der Mann von dannen. Eigentlich ist an diesem Vorfall nichts Besonderes, gerade für mich, der bestimmt in jeder zweiten fremden Toilette Schwierigkeiten hat, beim ersten Versuch erfolgreich wieder herauszukommen.

Das Großartige an dieser Geschichte liegt jedoch daran, dass er sagt: „Gibt es hier auch noch einen ANDEREN Ausgang?“ Denn das heißt, er muss dort, wo eigentlich gar kein Ausgang war, einen gefunden haben, nur dass dieser ihm wohl nicht behagt hat. Anderweitig hätte er ja nicht nach einem ANDEREN Ausgang gefragt.

Ich finde, das besitzt enorme philosophische Tiefe. Denn der Begriff „Ausgang“ ist ja nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich definiert. Und ist für einige Menschen selbst dann, wenn räumlich nachprüfbar nur ein Ausgang existiert, dieser anscheinend nicht alternativlos, was bedeutet das dann in der zeitlichen Dimension?

Könnten vielleicht Terroranschläge oder demokratische Wahlausgänge ebenfalls unterschiedliche Ausgänge besitzen? Und was ist mit der Börse? Überhaupt, wo beginnt denn eigentlich unsere Freiheit? Beim ersten Ausgang – oder vielleicht erst beim zweiten?

Der Satz „Gibt es hier auch noch einen ANDEREN Ausgang?“ wird für mich auf jeden Fall eine der wichtigen Orientierungsmarken für das Jahr 2017 abgeben.

Und Ihnen wünsche ich, dass Sie gut dorthin kommen. In das Jahr natürlich, nicht in den Ausgang.

Oder vielleicht doch.

 

Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet

******* DAS ENDE EINES LANGEN ZYKLUS *** NEUES BUCH *******

Bernd Niquet, „IN TIEFSTEN SCHICHTEN“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2015, 327 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-95744-926-9.

Am besten portofrei direkt beim Verlag bestellen: www.engelsdorfer-verlag.de/db/autorwerke.php

Der obige Text spiegelt die Meinung der jeweiligen Autoren wider. Instock übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche rechtliche oder sonstige Ansprüche aus.

 

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