Von Thomas Grüner
Der mögliche Auftakt für ein Jahr mit vielen politischen Sorgen hätte am 15. März in den Niederlanden stattfinden können. Im Vorfeld der Parlamentswahl trumpfte der Rechtspopulist und EU-Skeptiker Geert Wilders in der Wählergunst groß auf. Letztlich musste sich Wilders jedoch klar der konservativ-liberalen Volkspartei VVD geschlagen geben. Abgesehen davon hätte Wilders in der zerklüfteten Parteienlandschaft in den Niederlanden sowieso keine großen Möglichkeiten gehabt, europafeindliche Politik gegen den Willen der zahlreichen anderen Parteien zu betreiben. An den Märkten mutierte die vielbefürchtete Parlamentswahl, die nur mit viel Fantasie irgendwann einen „Nexit“ hätte nach sich ziehen können, zum klaren Non-Event.
Ängstliche Marktbeobachter setzten einen möglichen Sieg Marine Le Pens in Frankreich stets mit dem unmittelbaren Auseinanderbrechen der Eurozone gleich – was sicherlich eine ungerechtfertigte Vereinfachung der kausalen politischen Kette darstellt. Dementsprechend stellten die Ergebnisse des ersten Wahlgangs eine spürbare Erleichterung dar. Die europäischen Aktienmärkte haben dynamisch auf die Tatsache reagiert, dass Le Pen als klare Außenseiterin in das Duell mit Emmanuel Macron am 7. Mai gehen wird. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Macron ins Amt einzieht und es zur „Cohabitation“ kommt – wenn die Partei des französischen Präsidenten nicht über die parlamentarische Mehrheit verfügt. Politisches Patt voraus! Märkte lieben das.
Liefert der zweite Wahlgang bei der französischen Präsidentschaftswahl keine Überraschung, wären zwei von drei „Schicksalswahlen“ für Europa bereits geschafft! Bisher zeigen sich Märkte unbeeindruckt, werfen den Ballast der falschen Ängste ab, die sich sukzessive auflösen, und animieren potentielle Käuferschichten zu neuem Mut. Bleibt die Bundestagswahl im September: Droht den Aktienmärkten am Ende doch noch Ärger von der politischen Seite?
Deutschland: CDU und/oder SPD
Seit Jahren wird der Bedeutungsverlust der Volksparteien beklagt. Nachdem am 27. Januar 2017 statt Sigmar Gabriel überraschend Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD erklärt wurde, sollte man sich jedoch lieber Gedanken um das „Überleben“ der „Kleinen“ machen. Denn der sich zuspitzende Machtkampf zwischen Schulz und Merkel hat durch die Bildung zweier starker Pole tendenziell zu Umfrageverlusten von AfD, Grünen, Linken und FDP geführt. Keiner der „Kleinen“ erreicht nach aktuellen Umfragen die Zehn-Prozent-Marke. Setzt sich dieser jüngste Trend fort, werden sie noch einiges mehr in den Wahlkampf investieren müssen, um nicht der magischen Fünf-Prozent-Hürde zum Opfer zu fallen. Das Abstiegsgespenst geht bei den kleinen Parteien um. Eine „Bereinigung“ der politischen Deutschlandkarte wäre die völlig überraschende Konsequenz.
Sorgengeplagte Marktbeobachter sollten die Diskussionen rund um die Bundestagswahl einmal durch die amerikanische Brille sehen. US-Wahlbeobachter brechen die Wahl auf das Nötigste herunter und treffen dennoch den wichtigen Kern: „SPD oder CDU – Schulz oder Merkel? Wie die Ergebnisse letztendlich im Detail aussehen ist im Grunde egal, beide stehen für eine europafreundliche Politik.“
Fazit: Das Jahr der schwindenden Unsicherheit in Europa nimmt immer konkretere Formen an. Falsche Ängste können sich auflösen, Märkte werfen unnötigen Ballast ab. Die europäischen „Schicksalswahlen“ tragen einen wichtigen Teil zur Aufhellung der Marktstimmung bei.
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Thomas Grüner ist Firmengründer und Chief Investment Officer der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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