Von Thomas Grüner
Wenn man an der Börse vor etwas richtig Angst hat, dann ist es eine Rezession. Gemeint sind damit zwei aufeinanderfolgende Quartale mit einer negativen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Im Vorlauf zu einer globalen Rezession sieht man häufig stark fallende Aktienmärkte – fundamental getriebene, globale Bärenmärkte mit typischen Entwicklungen von 40 Prozent abwärts und mehr. Zwar ist das Weltwirtschaftswachstum weiterhin stabil, blickt man jedoch auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, so sieht das Bild schon anders aus. Im zweiten Quartal 2019 war die BIP-Entwicklung seit längerem mit -0,1 Prozent wieder negativ. Und auch die Vorhersagen für das dritte Quartal 2019 sehen nicht gut aus. Rezession voraus?
Staatsüberschuss trotz Konjunkturflaute
Gleichzeitig trägt die Haushaltspolitik der vergangenen Jahre Früchte. So konnte das statistische Bundesamt in dieser Woche vermelden, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen im ersten Halbjahr rund 45,3 Milliarden Euro mehr einnehmen konnten, als sie ausgaben. Damit wird das langfristige Ziel der schwarzen Null im Haushalt tendenziell mehr als erfüllt. Unpopulär ist es jedoch, auf die Folgen dieser Politik zu verweisen, wird durch die positive Bilanz der öffentlichen Kassen doch letztendlich dem Wirtschaftskreislauf Geld entzogen. Der Staat nimmt uns allen mehr ab, als er ausgibt.
Der menschliche Verstand hat ein grundsätzliches Problem im Umgang mit großen Zahlen. Erst wenn man diese im Verhältnis betrachtet, kann man jedoch die tatsächlichen Auswirkungen erkennen. Durch diesen Zusammenhang ist erklärbar, dass bei der Nennung der absoluten Schulden der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig ein Aufschrei ertönt. Dass Staaten im Euroraum jedoch prinzipiell in der Lage sind, sich zu rekordgünstigen Konditionen zu verschulden und die Vermögenswerte gleichzeitig erheblich gewachsen sind, lässt man gerne unter den Tisch fallen. Märkte bewerten die Schuldensituation aktuell nicht als besorgniserregend. Wie wäre ansonsten zu erklären, dass der 10-jährige Zins Italiens zum ersten Mal unter 1 Prozent gefallen ist? Eine eingepreiste Insolvenz sieht anders aus.
Fundamentales Missverständnis
Der Transfer von Geld durch die Zeit ist eine großartige Erfindung der menschlichen Gattung. Erst durch diese Idee sind wir in der Lage, den Wohlstand in der Form zu steigern, wie in der Vergangenheit geschehen. Dies funktioniert so lange, wie das Verhältnis zu den Vermögenswerten gesund bleibt, die Schulden finanzierbar sind und Vertrauen in das Wirtschaftssystem besteht. Keine dieser Eigenschaften ist aktuell gefährdet. Gleichzeitig sorgt der Entzug von Kapital durch den Staat dafür, dass die Wirtschaft sich tendenziell schlechter entwickelt. Strukturelle Probleme werden nicht behoben, notwendige Stimuli in schlechten Zeiten nicht durchgeführt. Die Aktienmärkte als Indikator der wirtschaftlichen Entwicklung zeigen diesen Zusammenhang in signifikanter Häufigkeit.
Fazit: Unerklärlich ist und bleibt für uns, dass vielfältig weder der Zusammenhang zwischen dem entstehenden Wohlstand und einer gesunden Verschuldung verstanden wird, noch der Zusammenhang zwischen den Aktienmärkten und dem Haushaltsverhalten von Staaten. Vernünftige Schulden schaffen Wohlstand und vernichten ihn nicht – zumindest so lange, wie diese nicht ungesund im Verhältnis zu den Vermögenswerten werden. Eine Reaktion der deutschen Politik auf die vielfältigen strukturellen Probleme wäre daher zum aktuellen Zeitpunkt notwendig und wünschenswert!
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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