Von Thomas Grüner
Mitte November zeichnet sich mehr und mehr ab, dass das Börsenjahr 2019 mit großem Erfolg in die Bücher eingehen wird. Begünstigt werden die Zahlen natürlich durch die Tatsache, dass sich die V-förmige Erholungsbewegung ziemlich exakt zum Jahreswechsel 2018/19 ereignet hat. In der Folge haben sich die Aktienmärkte jedoch über eine holprige Strecke hinweggesetzt und langfristig orientierte Anleger wurden jetzt einmal mehr im laufenden Bullenmarkt für ihre Geduld belohnt. Den globalen Aktienmärkten ist es auf breiter Ebene gelungen, neue Rekordmarken zu setzen.
Deutsche Anleger mit Fokus auf den Heimatmarkt litten in den vergangenen Jahren unter der relativen Schwäche des Dax, doch auch der deutsche Leitindex pirscht sich mit dem Vorteil der inkludierten Dividendenberechnung wieder an seinen Hochpunkt an. Wie so oft im laufenden Bullenmarkt stellt sich also die Frage: Welche Schlüsse sollten Anleger aus dieser Situation ziehen?
Zwischen Höhenangst und Optimismus
Zuerst ist es wichtig zu verinnerlichen, dass neue Höchststände im Rahmen eines intakten Bullenmarkts völlig normal sind und häufig auftreten. Der MSCI World Kursindex konnte im Bullenmarkt seit 2009 bereits 135 Mal neue Allzeithochs setzen, im Bullenmarkt der 90er Jahre waren es sogar 308 neue Hochpunkte. Eine neue Rekordmarke ist kein Verkaufsgrund, viel eher besteht die Gefahr, aus rein emotionalen Gründen den Aktienmarkt zu verlassen und hohe Opportunitätskosten zu verursachen. Stichwort: Höhenangst im intakten Bullenmarkt.
Zum Jahresende 2019 kann man festhalten, dass die Stimmungslage gemischt ist. Einerseits helfen steigende Kurse dabei, dass Anleger bereit sind, etwas optimistischer an das Thema Aktien heranzugehen. Andererseits ist die gefährliche Situation einer Euphorie noch immer nicht gegeben. Zu verbreitet ist die klassische Höhenangst: Das Gefühl, dass diese Märkte schon viel zu weit und viel zu lange gelaufen sind. Nach dem skeptischen Grundprinzip „was höher steigt kann auch tiefer fallen“. Solange die Mauer der Angst immer noch existiert, sollte man neue Rekorde jedoch mit Wohlwollen betrachten. Im Grunde stellen sie keine signifikanten Punkte in der Marktentwicklung dar, sondern sind das angenehme Nebenprodukt einer wachsenden Weltwirtschaft. Erst wenn die Mehrheit der Anleger neue Rekorde als „grünes Licht für offensive Aktionen“ interpretiert, sollten Allzeithochs mit gesteigerter Vorsicht aufgenommen werden.
Situation richtig einordnen
Für eine nüchterne Standortbestimmung gilt es, die Ereignisse in 2019 richtig einzuordnen. Das laufende Börsenjahr ist keineswegs außergewöhnlich, sondern in vielerlei Hinsicht normal. Scharfe Korrekturen und dynamische Erholungsbewegungen sind ein natürlicher Bestandteil der Marktentwicklung – mit 2019 auf der Sonnenseite der Volatilität. Die erlebte Dynamik ist dabei typisch für steigende Bullenmärkte im reifen Zyklus. Das Gedankenspiel „2020 kann gar nicht überzeugen, weil 2019 schon so überproportional gut war“ kann direkt verworfen werden. Die Chancen stehen gut, dass sich die Unsicherheit 2020 weiterhin auflöst und der Optimismus weiter wachsen kann – schon die nächste Korrektur wird jedoch zeigen, wie immun sich die „gute Stimmung“ gegen kurzfristig fallende Kurse zeigt.
Fazit: 2019 ist ein ganz normales Bullenmarktjahr im reifen Zyklus – mit dynamischen Kurszuwächsen, gleichzeitig aber auch mit zähen Seitwärtsphasen. Der Wohlfühlfaktor ist trotz der guten Entwicklung weitestgehend ausgeblieben. Ein gutes Zeichen! Solange die „Mauer der Angst“ existiert, sollte man sich um neue Höchststände keine Sorgen machen.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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