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Jedem einen Einlauf

Mittwoch, 20. Mai 2020 um 14:04

Von Bernd Niquet

Ich weiß nicht, ob ich so etwas schon erlebt habe? Früher sind die Märkte ja schon abgeschmiert, wenn Alan Greenspan nur gehustet hat. Heute jedoch redet der Fed-Chef Jerome Powell am Sonntag davon, dass die Wirtschaftsleistung in den USA um 30 Prozent zurückgehen könnte, doch am Montag haussieren dann die Aktien.

Aber natürlich, ich verstehe schon, die Märkte bekommen ja auch wieder einen Einlauf. So wird jede schlechte Nachricht zu einer guten. Der Patient ist sehr krank, doch er kriegt wieder einen Einlauf. Juchhu!

Woran erinnert das? Es erinnert an den Roman „Gegen den Strich“ des genialen Joris-Karl Huysmans. Und dieses Buch ist aus dem Jahr 1884. Es ist also durchaus nicht neu, was heute passiert. Wenn auch die Verrücktheiten, die früher hinter verschlossenen Türen geblieben sind, heute sofort nach außen transportiert werden.

Heute bekommt jeder einen Einlauf. Juchhu!

Unsere Kanzlerin will jetzt gleich 3 Billionen Euro für Corona ausgeben. 500 Milliarden im neuen Programm mit Macron, 500 Milliarden durch die vorher schon von den EU-Finanzministern versprochenen Hilfen, plus 1 Billion aus dem Haushalt für sieben Jahre und noch einmal 1 Billion an nationalen Maßnahmen.

Für die USA wären 3 Billionen natürlich nur Peanuts, weil in den USA schon Milliarden Billions sind. Dort müssen es dann schon Trillions sein. Aber da komme ich nicht mehr mit.

Ich komme ohnehin nicht mehr mit, denn ich kenne niemanden und lese auch von niemandem, der nicht daran glaubt, dass die Märkte noch einmal heftig einknicken werden. Gestritten wird nur darüber, ob wir noch einmal neue Tiefststände sehen werden oder nicht.

Das ist wirklich bizarr. Vielleicht sind ja meine Beobachtungen und die Berichterstattung über die Märkte total einseitig, dass also nur über die eine Marktseite berichtet wird, doch wenn dem nicht so ist, fragt sich: Wer kauft jetzt eigentlich Aktien zu steigenden Preisen, wenn er doch eigentlich glaubt, dass sie bald fallen?

Irgendetwas passt hier also nicht. Aber es passt ja derzeit sowieso nichts. Können Einläufe benebeln? Oder stehen wir jetzt vielleicht vor einer ganz neuen Zeit?

Ab jetzt bekommt die ganze Welt einen Einlauf. Juchhu!

Was mich auf die Analogie zu „Gegen den Strich“ zurückbringt. Dort lebt der adelige Held, Des Esseintes, ein derart extremes Leben, dass sein Körper bald streikt und er keine Nahrung mehr zu sich nehmen kann. Als einzige Lösung bleibt daher das, was heute eben schon überall praktiziert wird. Es wird jedoch standesgemäß wie in einem Restaurant mit einer Menükarte angekündigt: 20g Lebertran, 200g Rindersaft, 200g Burgunder, 1 Eigelb.

Und dazu heißt es im Buch: „Jetzt hatte Des Esseintes die höchste Erfüllung gefunden; weiter konnte man nicht gehen; die auf diesem Wege absorbierte Nahrung war der Gipfel der Abirrung.“

Und das ist doch auch genau das, was unser heutiges System aus Politik, Wirtschaft und Finanzen charakterisiert. Weiter kann man nicht gehen, der Gipfel der Abirrung ist erreicht.

Doch welche Alternative gibt es? Ich weiß keine.

Lassen wir also einfach den wunderbaren letzten Satz dieses wunderbaren Buches in Ruhe auf uns wirken. Er lautet: „Herr, hab Mitleid mit dem Sträfling des Lebens, der sich nachts aufmacht, allein unter dem Firmament, das nicht mehr erleuchtet wird von den Trostfackeln der alten Hoffnung!“

Und genauso isses doch, denke ich.

 

Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet

 

******* Von Bernd Niquet ist ein n e u e s Buch erschienen *******

Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. FÜNFTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2019, 624 Seiten, 22 Euro

Am besten portofrei direkt beim Verlag bestellen: www.engelsdorfer-verlag.de

oder bei Amazon


 

Bernd Niquet und die Flüchtlingskrise. Die Geschichte von Bernd Niquet ist mittlerweile in den Jahren 2015 und 2016 angekommen. Das ist die Zeit des massenhaften und ungehinderten Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland. Die Hauptfigur der Ereignisse muss jetzt nicht mehr wie vorher nur die Lasten seines eigenen Lebens und seiner familiären Verhältnisse schultern, sondern sieht sich darüber hinaus gezwungen, aus sich selbst herauszutreten und sich ganz grundsätzliche weiterführende Gedanken zu machen.

»Immer, wenn die große Mittelmacht auf dem europäischen Kontinent verrückt spielt, resultieren daraus immense Verwerfungen. Wird der wirtschaftlichen Nord-Süd-Teilung zur Eurorettung jetzt auch noch eine kulturelle Ost-West-Spaltung zur Flüchtlingsrettung hinzugefügt? Denn das hieße ja nichts anderes als die bildliche Kreuzigung unseres Kontinents.«

Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und lebt trotz seines Umzugs im vergangenen Jahr weiterhin im selben ruhigen Außenbezirk von Berlin. Die ersten vier Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2018.

Der obige Text spiegelt die Meinung der jeweiligen Autoren wider. Instock übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche rechtliche oder sonstige Ansprüche aus.

 

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