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Alles richtig und trotzdem falsch

Donnerstag, 3. Februar 2022 um 08:00

Von Bernd Niquet

Manchmal gibt es tatsächlich noch solche genialen Momente, in denen ich etwas lese und denke: Genau das ist es! So klar und in diesem Licht habe ich das nie zuvor gesehen!

Hierbei geht es um einen Aufsatz des Philosophen Michael Andrick, da war ich gebannt wie lange nicht und fand alles, was da kam, perfekt und überzeugend. Meine Güte, warum kann von den wichtigen Leuten in unserem Land niemand so etwas schreiben oder sagen?

Der Aufsatz dreht sich um die Coronamaßnahmen und vertritt die These, dass wir uns derzeit in einer Verfassungskrise befinden, die jedoch von den Repräsentanten der Verfassungsorgane nicht als solche erkannt wird.

Vorher hatte ich niemals von diesem Autor gehört und auch der Begriff Philosoph wird ja heute gemeinhin nicht für voll genommen. Ist jemand Ökonom, Soziologe oder Psychologe, dann ist das etwas, dem Philosophen hingegen fehlt hingegen wohl doch die Grundlage. So denkt man heute und ich selbst ehrlich gesagt auch.

Doch lassen wir das einfach einmal kommen, was der Philosoph geschrieben hat. Es ist ziemlich komplex ausgedrückt, ich werde daher versuchen, es einmal weitgehend in meinen eigenen Worten wiederzugeben.

Innerlich hätten viele Menschen die Gemeinschaft in unserem Land aufgekündigt, schreibt der Autor, und das habe weitreichende Folgen, denn genauso wie Menschen eine Republik gründen und ihr beitreten können, können sie sie auch wieder aufkündigen.

Erstmals werde derzeit die offene Gesellschaft absichtlich und unter Verbreitung von Todesfurcht in den Kampf geführt – und zwar gegen eine Naturgegebenheit. Im Zuge davon habe uns ein Geschehen überrollt, das wir erst noch zu begreifen hätten.

Dazu müssen wir zunächst einmal politische Urteile von moralischen Urteilen unterscheiden. Politische Urteile legen fest, was für uns alle in einer bestimmten Frage im Augenblick am besten wäre. Moralische Urteile hingegen bestimmen, was gut und was böse ist und dass das auch für diejenigen selbst gilt, die diese oder jene Position vertreten.

Die Krise unserer Demokratie begann, so der Autor, als die Regierung und ihre Unterstützer die Menschen mit anderer Meinung nicht etwa politisch kritisierten, sondern sie stattdessen moralisch verurteilten.

Derart negative moralische Urteile sind jedoch ihrem Wesen nach gemeinschaftsgefährdend. Gemeinschaftserhaltend sind nur politische Urteile, auch wenn sie kontrovers ausfallen. Denn sie bekräftigen selbst im Streit die Gemeinsamkeit der diskutierenden Bürger innerhalb eines Gemeinwesens.

Dieser bürgerschaftliche Zusammenhalt ist bei uns jetzt jedoch zu Ende. Mit der demagogischen Moralisierung der Pandemiepolitik wurde das bestimmende Thema der aktuellen Gegenwart aus der Verhandlung unter Gleichen herausgenommen.

Und damit, so heißt es weiter, werde nicht nur die politische Ausgestaltung, sondern bereits die legitime Diskussion über die Pandemiemaßnahmen zum Privileg der vermeintlich Guten und Solidarischen gemacht.

Quintessenz: Die Leugner des Glaubens derjenigen, die sich selbst im Recht wähnen, werden durch moralische Verdammung aus dem Kreis des legitimen Diskurses herausgestoßen. Jemanden aus dieser Gemeinschaft auszuweisen bedeutet jedoch nichts weniger, als ihm und seinesgleichen die Republik, das geteilte Gemeinwesen, aufzukündigen.

Nicht der erklärten Absicht, aber der Logik der Sache nach, laufe die Moralisierung der Politik daher immer darauf hinaus, die Diktatur des eigenen Willens durchsetzen zu wollen. Denn wer sollte als kontroverser Diskutant übrig bleiben, wenn diejenigen, die abweichende politische Urteile zu denselben Fragen fällen, durch moralische Verdammung aus der Debattenarena verwiesen worden sind?

Bing-Bong, das ist es! Und ich finde es vom Anfang bis zum Ende durchweg überzeugend. Jetzt weiß ich wieder, wozu es so etwas wie Staatsphilosophie gibt.

Dennoch scheint mir die gesamte Argumentation illegitim zu sein. Denn wenn eine Minderheit in der Bevölkerung die Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit der deutlichen Mehrheit signifikant beschneidet, ergibt sich kein demokratisches Ergebnis. Es darf daher nicht Bestand haben. Punktum.

Genau an diesem Punkt scheint die ganze Geschichte dann jedoch wieder komplett von vorne zu beginnen… .

 

Und noch ein P.S.: Wenn Sie meine Kolumnen regelmäßig lesen und das auch mit derjenigen von vor drei Wochen gemacht haben („Mogelei bei Mindesthaltbarkeitsdaten?“), dann habe ich hier eine interessante Entwicklung zu berichten.

In dieser Kolumne ging es unter anderem um Fleischsalat, der trotz noch lange laufender Haltbarkeit verdorben war. Als ich vor Kurzem wieder in dieser Filiale eines der drei großen Lebensmittelketten in unserem Land war, musste ich feststellen, dass das Sortiment des entsprechenden Salatanbieters, ebenfalls einem der größten in Deutschland, komplett aus dem Angebot verschwunden ist. Und das gelte sogar bundesweit, sagte mir eine Angestellte. Man wisse jedoch nicht warum. Es habe auf jeden Fall nichts mit dem Geld und den Preisen zu tun. Wenn das kein Hammer ist?! Manchmal rieche ich wirklich Mäusescheiße im Dunkeln.

 

Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet

 

******* Von Bernd Niquet ist ein n e u e s Buch erschienen *******

Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. SIEBENTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2021, 635 Seiten, 22 Euro

Am besten portofrei direkt beim Verlag bestellen: www.engelsdorfer-verlag.de

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In Kleists Drama "Penthesilea" geht es um den Konflikt zwischen einem gefühlsintensiven Individuum und der gesellschaftlichen Ordnung, die diesen Gefühlen entgegensteht. Penthesilea, die Königin der Amazonen, erobert im Kampf Männer, um sie zur Zeugung neuer Kriegerinnen mitzunehmen. Nach vollzogenem Zeugungsakt entlässt sie die Männer wieder in die Freiheit. Nur ihrem Geliebten stellt sie nach, was diesen letztlich sein Leben kostet. Kann es sein, dass ich in meinem Leben mehrmals nur haarscharf an vielem aus dieser Tragödie vorbeigeschrappt bin? Und dann ist ja auch noch Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist nur unweit meiner Wohnung freiwillig aus dem Leben geschieden.

Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt am wunderschönen grünen Rand seiner ansonsten mittlerweile ungeliebten Heimat Berlin. Die vorangegangenen sechs Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019 und 2020.

Der obige Text spiegelt die Meinung der jeweiligen Autoren wider. Instock übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche rechtliche oder sonstige Ansprüche aus.

 

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