Von Thomas Grüner
Je volatiler die Aktienmärkte sind, desto mehr steigt die Unsicherheit unter Anlegern an. Es entsteht dringender Klärungsbedarf, was sich an den Märkten genau abspielt und welche Ursachen dafür verantwortlich sind. Dieser Bedarf wird von den Finanzmedien zuverlässig abgedeckt, welche das tägliche Auf und Ab an den Börsen gerne mit Erklärungsversuchen untermalen. Nur – wie hilfreich sind diese Informationen unter dem Strich?
Das Fed-Beispiel
Die Volatilität an den Aktienmärkten hat zwei Gesichter, innerhalb kürzester Zeit kann sie von positiv zu negativ wechseln und umgekehrt. Wer Marktbewegungen stets mit einer Erklärung verbinden will, ist dementsprechend auf argumentative Kehrtwenden angewiesen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Fed-Entscheidung in der vergangenen Woche, die Zinsen um 50 Basispunkte anzuheben. Am Tag der Erhöhung stieg der breite US-Aktienmarkt unmittelbar nach der Verkündung dynamisch an. Das Narrativ: Eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte sorgt für Erleichterung unter Anlegern, da fürs Erste die Befürchtungen vor noch kräftigeren Zinserhöhungen erfolgreich zerstreut wurden. So weit, so gut – leider drehte der US-Aktienmarkt am nachfolgenden Börsentag kräftig in den negativen Bereich. Die argumentative Kehrtwende: Vermutlich hat die Fed ungewollt die Weichen für weitere Turbulenzen in der Zukunft gestellt – es ist zweifelhaft, ob dieser Ansatz funktioniert und es ist unklar, wie weit die Zinsen angesichts dieser Inflation angehoben werden können und wie es um die Wirtschaft generell bestellt ist.
Was hat sich über Nacht so dramatisch verändert, dass sich die Erklärungsversuche um 180 Grad ins Gegenteil gedreht haben? Nichts! Die Zinserhöhung von 50 Basispunkten war immer noch dieselbe, die Fed hatte keine neuen Weisheiten verkündet und der zukünftige Weg war genauso ungewiss wie am Tag zuvor. Reine Psychologie!
Erklärungen sind unnötig
Das grundsätzliche Problem besteht eben darin, dass die tagtäglichen Bewegungen an den Aktienmärkten gar nicht erklärbar sind. Das Verhalten von Millionen Anlegern zu analysieren, die jeden Tag aufs Neue ihre Kauf- und Verkaufsaufträge plazieren, ist viel zu komplex, als dass es mit einer simplen Meinungsäußerung getan wäre. Um einen klaren Kopf zu behalten, sollte also eine längerfristige Perspektive eingenommen werden. Das ist die Grundlage für das berühmte Zitat des legendären Investors Benjamin Graham: "Kurzfristig verhalten sich die Märkte wie eine Wahlmaschine, langfristig aber wie eine Waage".
Die schmerzhafte Korrektur, die Anleger in diesem Jahr durchleben müssen, ist für viele eine emotionale Herausforderung. Diese Situation ist absolut nachvollziehbar – und es kann eine große Hilfe sein, nicht jede kurzfristige Marktbewegung zu beobachten, die oftmals über vielfältige Schlagzeilen dramatisch untermalt werden. Zumindest gilt es, die täglichen Erklärungsversuche kritisch zu hinterfragen, die offensichtlich jegliche Form der Nachhaltigkeit vermissen lassen. Volatile Bewegungen an den Aktienmärkten geben Anlegern das Gefühl, dass die Dinge von äußerster Dringlichkeit sind – tatsächlich ist es aber dringend notwendig, eine langfristige und möglichst rationale Perspektive einzunehmen.
Fazit: Gerade in volatilen Phasen wird den täglichen Börsenbewegungen eine hohe Bedeutung beigemessen. In der Regel gibt es für diese Bewegungen jedoch keine sinnvolle und nachhaltige Erklärung und das ist auch gar nicht schlimm – tägliche Kursschwankungen sind im langfristigen Bild irrelevant.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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