Von Thomas Grüner
Auch in den letzten Zügen des ersten Halbjahres blieben die weltweiten Börsen nicht von negativer Volatilität verschont. Der marktbreite US-Aktienindex S&P 500 lieferte letztendlich das schlechteste Ergebnis für die ersten sechs Monate eines Börsenjahres seit 1962 ab. Deshalb besteht der bescheidene Silberstreif am Horizont darin, dass die Wertentwicklung der Vergangenheit nichts über die Performance der Zukunft aussagt.
Lange Historie hilft
Der S&P 500 bietet aufgrund seiner langen Historie mit verlässlichen Daten eine umfangreiche Datenstichprobe. Betrachtet man die jeweils erste und zweite Jahreshälfte für die vergangenen 96 Jahre, dann beträgt die Korrelation zwischen den Renditen der ersten und zweiten Jahreshälfte -0,099. Bei einem perfekten Gleichlauf für den Wert 1,0 und einem perfekten Gegenlauf für den Wert -1,0 lässt sich also festhalten: Die Abhängigkeit der Halbjahresrenditen zueinander ist derart gering, dass sie funktional bedeutungslos ist.
Die Datenmenge enthält 51 Jahre, in denen der S&P 500 sowohl in der ersten als auch in der zweiten Jahreshälfte angestiegen ist, was für die heutige Situation keine Relevanz besitzt. Sie umfasst auch die 13 Jahre, in denen der S&P 500 in der ersten Jahreshälfte angestiegen und in der zweiten Jahreshälfte zurückgegangen ist. Schauen wir uns also nur die verbleibenden 32 Jahre an, in denen die Aktien in der ersten Jahreshälfte gefallen sind: Die zweite Hälfte verlief 17 Mal positiv und 15 Mal negativ. Damit entspricht die Wahrscheinlichkeit eines positiven zweiten Halbjahres nach einem missglückten Jahresauftakt in etwa einem Münzwurf.
Was zählt für die Zukunft?
Diese Zahlenspiele zeigen weder auf, dass die zweite Hälfte automatisch positiv verlaufen wird, noch, dass die Renditen zwangsläufig negativ bleiben. Unter dem Strich zählt, dass Aktien das tun werden, was sie immer tun – sie nehmen eine zukunftsorientierte Perspektive ein und preisen die erwarteten Bedingungen für die nächsten drei bis 30 Monate ein. Die entscheidende Frage ist also: Besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Dinge in diesem Zeitraum viel schlechter entwickeln als es die Erwartungshaltung nahelegt? Denn letzten Endes wurden diese Erwartungen bereits von den Märkten eingepreist und stellen in gewissem Sinne eine Messlatte dar.
In Anbetracht der zahlreichen Rezessionsprognosen und der übermäßigen Fokussierung auf negative Einflussfaktoren wie Inflation, Krieg, Energiepreise, Zinserhöhungen und viele weitere ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Aktienmärkte ein gewisses Rezessionsrisiko eingepreist haben. Eine leichte Rezession birgt zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich kein signifikant negatives Überraschungspotential mehr und bereits die Vermeidung einer Rezession wäre für viele Anleger eine angenehme Überraschung. Unseres Erachtens sind die Rahmenbedingungen für die zukunftsgerichteten Aktienmärkte also tendenziell günstig.
Fazit: In volatilen Zeiten ist es stets angebracht, den Fokus auf den mittel- bis langfristigen Ausblick zu legen. Eine Prognose, wann sich die Aktienmärkte exakt erholen werden, erscheint nicht sinnvoll. Wendepunkte lassen sich immer nur im Nachhinein erkennen, und diese Erkenntnis ist eine große Unterstützung für langfristig erfolgreiche Anlageentscheidungen. In absehbarer Zukunft werden die Aktienmärkte wahrscheinlich deutlich höher notieren als zur Jahresmitte 2022. Diese Perspektive zählt für Anleger und es ist von entscheidender Bedeutung, die nachfolgende Erholungsbewegung nicht zu verpassen.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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