Von Thomas Grüner
Die US-Inflation erreichte im Juni mit 9,1 Prozent im Jahresvergleich einen neuen 40-Jahres-Höchststand. Aktienmärkte kämpfen mit der offiziellen Schwelle zu einem Bärenmarkt, auch Anleihemärkte kämpfen mit sinkenden Kursen und hartnäckige Rezessionsängste belasten die Stimmung. Der Russland-Ukraine-Krieg tobt weiter und die Angst vor einer militärischen Ausweitung inklusive Energiekrise breitet sich aus.
Sicherer Hafen?
Wenn es jemals Rahmenbedingungen gab, die einen Anstieg des Goldpreises begünstigen sollten, dann ist es die schwierige Situation im ersten Halbjahr 2022. In diesem Umfeld könnte Gold als vielfach gepriesener „sicherer Hafen“ Schutz vor steigenden Preisen, fallenden Aktienmärkten, einer Rezession und dem allgemeinen Chaos bieten. Aber stimmt das?
Im ersten Monat des Jahres, als die globalen Aktienmärkte in US-Dollar gerechnet um 5,2 Prozent fielen, tendierte Gold weitgehend seitwärts und ging nur um 0,6 Prozent zurück. Im Februar, als die militärischen Spannungen zunahmen und schließlich am 24. Februar die russische Invasion erfolgte, legte der Goldpreis dynamisch zu. Am 8. März, inmitten hoher Kriegs- und Inflationsängste, notierte der Goldpreis in US-Dollar im Jahresverlauf bei einem Plus von 12,9 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt waren die weltweiten Aktienkurse um 13,2 Prozent zurückgegangen, was den Anschein erweckte, dass die „Absicherung“ durch das gelbe Edelmetall gut funktionieren würde.
Leider das typische Muster
Zwangsläufig waren in der Finanzpresse zahlreiche Kommentare zu lesen, in denen Gold und auch andere Rohstoffe als Absicherung angepriesen wurden. Zügig wurden neue ETFs aufgelegt, um Kleinanlegern einen Zugang zum „sicheren Hafen“ in turbulenten Zeiten zu schaffen. In einer Umfrage der Bank of America unter globalen Fondsmanagern gaben die Befragten Anfang April an, dass sie die Übergewichtung für Rohstoffe noch niemals zuvor so hoch gewählt haben. Beim Investieren ist es jedoch sehr oft ein Fehler, der Herde zu folgen und Entscheidungen auf der Grundlage allgemein bekannter Informationen zu treffen. Ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem sich allgemeine Investment-Tips zu einem heißen Thema ausbreiten, ist es in der Regel längst zu spät.
Im März 2022 lief es nach diesem typischen Muster. Der Goldpreis sank vom 8. März bis zum 19. Juli um 17,5 Prozent in US-Dollar – ungefähr doppelt so stark wie die globalen Aktienkurse. Auch breit gefasste Rohstoffindizes wie beispielsweise für Industriemetalle erlitten herbe Verluste. Gold verfügt nicht über außergewöhnliche, fast magische Eigenschaften – Gold ist letztendlich auch nur ein Rohstoff.
Seit dem 8. März sind die Inflationsraten in zahlreichen wichtigen Industrieländern dramatisch angestiegen. Von einem wirksamen Inflationsschutz sollte man erwarten, dass er insbesondere in diesem Zeitraum profitieren kann, gerade wenn die Verbraucherpreisindizes in den USA, Großbritannien und der Eurozone für Entsetzen sorgen. Gold hat diese Erwartungshaltung nicht erfüllt und das alles ist auch nicht wirklich neu. Der Status von Gold als Inflationsabsicherung ist auch im historischen Kontext größtenteils ein Mythos.
Fazit: In diesem Jahr hat sich einmal mehr gezeigt, dass der Goldpreis die Eigenschaften nicht erfüllt, die sich viele Anleger wünschen würden. Gold ist nicht negativ mit Aktien und Anleihen korreliert, der Inflationsschutz ist nicht gegeben und die Argumente pro Gold gilt es sorgfältig zu überprüfen – gerade auch weil der Goldpreis historisch betrachtet noch volatiler ist als die Aktienmärkte.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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