Von Thomas Grüner
Mit den global explodierenden Preisen für Güter und Dienstleistungen in Folge von Lieferkettenschwierigkeiten, eskalierenden Energiepreisen oder auch der gestiegenen Geldmenge waren die Sorgen im vergangenen Jahr an den globalen Aktienmärkten groß. In der Folge reagierten die Zentralbanken mit Zinserhöhungen – eine Maßnahme, um Wachstum abzuschwächen und Angebot und Nachfrage die Möglichkeit zu geben, in ein Gleichgewicht zurückzukehren. Mittlerweile steigen globale Aktien seit geraumer Zeit. Doch braucht es nun Zinssenkungen, um weiter steigende Kurse befeuern zu können?
Verklärte Historie
Die Behauptung hält sich bei vielen Marktbeobachtern. Die Mitglieder der Zentralbanken werden folgerichtig bei ihren zahlreichen öffentlichen Auftritten regelmäßig gefragt, ob eine Zinssenkung absehbar sei. Noch äußern sich alle unverbindlich – und gleichzeitig halten wir die Diskussion für tendenziell unangebracht. Die Schritte der Federal Reserve sind genauso wenig vorhersehbar wie die der anderen Zentralbanken. Und am wichtigsten ist, dass Aktienmärkte keine Zinssenkungen benötigen, um sich gut zu entwickeln. So konnte der S&P 500 seit der ersten Zinserhöhung im Juni vergangenen Jahres um 10,3 Prozent zulegen. Und seit dem letzten Tiefpunkt am 12. Oktober 2022 erhöhte die Federal Reserve die Zinsen fünf Mal. Unbeeindruckt davon sind US-Aktien im gleichen Zeitraum um 16,3 Prozent gestiegen. Immer mehr zeigt sich, dass Aktienmärkte die Zukunft einpreisen und Zinsen tendenziell eine Reaktion auf aktuelle Daten sind. Diese sind vergangenheitsorientiert und damit zunehmend bedeutungslos.
Zu schnell und zu weit?
Vielleicht beschließt die Fed, dass sie zu weit und zu schnell gegangen ist, und macht im Laufe des Jahres einen Rückzieher. Vielleicht geschieht dies inmitten einer leichten Rezession. Falls ja, bezweifeln wir, dass dies für die Aktien eine entscheidende Wende bedeuten würde, da sie das vergangene Jahr damit verbracht haben, dieses weithin erwartete Ergebnis einzupreisen. Oder aber die Fed legt eine lange Pause ein. Alles hängt davon ab, wie sich die Indikatoren in der Realwirtschaft entwickeln – und wie die zahlreichen und unterschiedlichen Mitglieder des Federal Open Market Committee diese Indikatoren auf der Grundlage ihrer Analysen und Vorurteile interpretieren. Nichts davon ist eine Marktfunktion, so dass es unserer Meinung nach nicht möglich ist, Wahrscheinlichkeiten für diese Ereignisse zu bestimmen.
Zinssensitivität der Bullenmärkte gering
Die gute Nachricht ist jedoch, dass es keinen notwendigen Pfad für Bullenmärkte gibt, dem sie folgen müssen. In der Vergangenheit gab es sowohl Bullenmärkte, die durch Zinserhöhungen, Zinssenkungen als auch lange Zinspausen hindurchgehen mussten. Sie zeigen, dass Aktien in unterschiedlichen Zinsumfeldern steigen können. Dies ist logisch, wenn man bedenkt, dass die Leitzinsen nur einen Punkt des gesamten Zinsspektrums darstellen – und nur eine Variable, die die Kreditvergabe der Banken beeinflusst. Diese ist trotz der jüngsten Zinserhöhungen nach wie vor hoch.
Fazit: Der Nobelpreisträger Milton Friedman pflegte zu sagen, dass Zinserhöhungen nicht bedeuten, dass das Geld knapp ist. Vielmehr bedeuten sie, dass die Geldpolitik zu locker war. Zinssenkungen sind nach seiner Logik das eigentliche Zeichen für Geldknappheit, da sie darauf hindeuten, dass die Fed eine Lockerung für notwendig hält. Die Daten zur Kreditvergabe deuten darauf hin, dass dieser Bedarf heute nicht besteht. Das schließt Zinserhöhungen nicht aus, aber es spricht unserer Meinung nach gegen eine Notwendigkeit.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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