Von Thomas Grüner
Auf breiter Ebene sind die Inflationsraten im Vergleich zu den Höchstständen des vergangenen Jahres zurückgegangen. Die Gesamtinflationsrate des US-Verbraucherpreisindex erreichte im Juni 2022 einen Höchststand von 9,1 Prozent im Jahresvergleich, im August 2023 lag sie bei 3,7 Prozent. In der Eurozone ging die Inflationsrate von 10,6 Prozent im Oktober 2022 auf 5,2 Prozent im August 2023 zurück, in Deutschland beträgt sie nunmehr 6,1 Prozent nach 8,8 Prozent im November 2022.
Abgeschwächte Inflationsraten senken aber die Preise nicht – sie steigen immer noch, nur langsamer. Diese Steigerung nähert sich dem langfristigen Durchschnitt wieder an, für die Verbraucher ist dies in der Regel allerdings ein schwacher Trost, da sich diese Bewegung auf einem „erhöhten“ Preisniveau abspielt. Auf der emotionalen Ebene scheinen sich die Verbraucher nach einer Deflation zu sehnen – nach spürbar sinkenden Preisen, die den Preisanstieg der vergangenen Jahre vergessen machen.
Deflation ist keine „Lösung“
Deflation hört sich eigentlich gut an: Allgemein sinkende Preise in der gesamten Wirtschaft, Verbesserung der Kaufkraft und Erhöhung des Lebensstandards für alle. Das Gegenteil der heimtückischen Inflation. In der Realität sinken dann zwar tatsächlich die Preise ausgewählter Güter, aber eine echte, gesamtwirtschaftliche Deflation ist recht selten. Wenn sie kräftig ausfällt, ist sie oft ein böser Nebeneffekt einer schweren Rezession und einer gravierenden Kreditklemme, welche die Geldmenge und die Verbrauchernachfrage vernichten. Dies war beispielsweise der Hintergrund der Deflation während der Großen Depression der 1930er Jahre, wobei die Geldmenge und die Geldumlaufgeschwindigkeit um rund ein Drittel reduziert wurden. Zuletzt wurden Anleger um das Jahr 2008 von der Deflation „heimgesucht“, im Zuge der globalen Finanzkrise mit schwerwiegenden Bankenproblemen.
Krisen sind nicht erstrebenswert
Nun würde sich wahrscheinlich kein Marktteilnehmer eine epische Finanzkrise herbeiwünschen, nur um die Preise wieder auf den Stand vor der Pandemie zu bringen. Es geht also um die richtige Erwartungshaltung – für die persönlichen Lebenshaltungskosten, das emotionale Wohlbefinden und natürlich auch für Aktieninvestitionen. Aktienmärkte sind geübt darin, sich von Inflationsschüben zu erholen und auch mit steigenden Preisen umzugehen. Die Inflation bahnt sich ihren Weg durch die Gesellschaft, beginnt bei den Preisen und dringt dann langsam zu den Löhnen durch, was es den Menschen ermöglicht, ihren früheren Lebensstandard wiederzuerlangen, selbst wenn die Preise niemals fallen. Die Unternehmen hingegen können ihre Gewinnspannen aufrechterhalten, da sich die Auswirkungen der Inflation auf ihre Kosten und Einnahmen oft aufheben. Dies erleben wir jetzt: Die Gewinnspannen sind nicht mehr weit von 2021 entfernt und die Aktienmärkte befinden sich seit fast einem Jahr im Bullenmarkt.
Fazit: Inflation bleibt ein schwer verdauliches Thema, zumal die Löhne den Preisen mit einer ziemlich großen Verzögerung folgen. Es kann ein paar Jahre dauern, bis die Menschen wieder das Gefühl haben, dass sie die Kaufkraft haben, die sie 2019 hatten. Aber dieser beschwerliche Weg hin zur Kaufkrafterholung ist bei weitem besser als eine tiefe Rezession, die sehr wahrscheinlich nötig wäre, um das Preisniveau wieder zu senken. Dies würde wohl mit einer weit verbreiteten Arbeitslosigkeit und einer Reihe anderer negativer Auswirkungen einhergehen. In diesem Hinblick sind ein bescheidenes BIP-Wachstum und ein langsamerer Preisanstieg zusammen mit einem höheren Lohnwachstum die bessere Option.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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