Von Bernd Niquet
Es ist schon ein sehr merkwürdiges Gefühl, in einem Land Kolumnen zu schreiben, in dem die Gesetze vom Staat nicht mehr strikt beachtet werden und auch die Arbeit der Justiz gegenüber früher nicht mehr wiederzuerkennen ist. Da kann dann nämlich an jedem Tag alles passieren.
Ich habe neulich gelesen, dass es untersagt ist, Politiker von heute mit denen aus der Zeit des Nationalsozialismus zu vergleichen, doch ich habe dazu kein Gesetz gefunden.
Das Einzige, was ich gefunden habe, ist § 130 StGB. Und ich wundere mich mächtig, was eigentlich Volksverhetzung sein soll, wenn es doch, wie uns an jedem Tag eingetrichtert wird, gar kein Volk mehr gibt?
Dennoch bin ich erleichtert, denn unter Strafe stehen nur, zum Hass aufzustacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufzufordern und gegen die Menschenwürde und den öffentlichen Frieden vorzugehen.
Dann bin ich ja aus dem Schneider, wenn ich jetzt über meine ureigenen Gedanken und Gefühle schreibe.
Als ich in dieser Woche das Bild des Mannes mit seiner vom genetisch bedingten Down-Syndrom gezeichneten Tochter gesehen habe, an dem unser Wirtschaftsminister Robert Habeck wie in 800 weiteren Fällen ein Exempel statuiert hat, schoss mir blitzartig die Politik der Nationalsozialisten in den Kopf und ich habe im Herzen einen heftigen Stich verspürt.
Natürlich weiß ich, dass Robert Habeck bestimmt nicht so denken wird und dass er das vorher sicherlich auch nicht wusste, doch innere Erlebnisse können durch Reden von außen nicht verändert werden.
Als ich dann allerdings auch noch bei Julian Reichelt den Anwalt Joachim Steinhöfel gehört habe, Habeck nutze jetzt „ ... Algorithmen, um industriell technisch mit künstlicher Intelligenz das Netz zu durchforschen... “ und sich so „ ... gegen Bürger, die sich kritisch gegen ihn geäußert haben, in Stellung zu bringen und sie zu verfolgen“, hat mich das fast umgehauen.
Industriell? War da nicht einmal was?
Ich bin daher diesem inneren Gefühl in mir nachgefolgt und dabei auf die Frage gestoßen, ob ich mich eigentlich für die Taten der Nationalsozialisten schäme?
Natürlich verurteilt mein Verstand die einzigartigen Gräueltaten der damaligen Machthaber auf das Schärfste, doch geschämt habe ich mich nie.
Warum eigentlich nicht? Weil ich das Glück hatte, in eine Familie hineingeboren worden zu sein, die im Widerstand zu Hitler agiert hat. Denn mehr als das war damals nicht menschenmöglich.
Hinzu kommt natürlich auch, dass ich damit ja wirklich nichts zu tun habe, weil ich damals noch nicht gelebt habe.
Bei dem, was heute passiert, ist das hingegen anders. Und da schäme ich mich wirklich. Ich schäme mich sogar mächtig, nicht entschiedener agiert zu haben, um zu verhindern, dass die Leute, die heute an der Spitze unseres Staats stehen, in ihre Ämter kommen konnten.
Aber was hätte ich tun können? An erster Stelle hätte ich mehr Einsatz zeigen können, meiner gefühls- und politikdummen Tochter, von der ich vermute, dass sie entweder die Grünen oder die FDP gewählt hat, klarzumachen, was da auf uns zukommt.
Denn bei den Grünen war das ja klar. Bei ihnen war klar, dass sie die Atomkraftwerke abschalten werden, zudem weiß jeder, dass sie beim ersten und einzigen völkerrechtswidrigen Krieg der Bundesrepublik Deutschland entscheidend mitgewirkt haben. Und dass sie die Wirtschaft per CO2-Order mattsetzen würden, war auch keine wirkliche Überraschung.
Hätte sie jedoch die FDP gewählt, würde ich ihr Absolution erteilen. Denn diesen gigantomanischen Wählerbetrug von Christian Lindner, den hätte wirklich niemand erahnen können.
Ich hätte auch versuchen sollen, auf meinen besten Freund von früher, Christian Fischer, einzuwirken, einen überzeugten Wähler der Grünen. Doch ich vermute, er wird heute eher stolz auf seine Partei sein, denn so ist endlich zum ersten Mal in seinem Leben seine eigene Stimme von jemandem gehört worden.
Und ich hätte auch mich selbst nicht von dem Chaos im Wahllokal und den ewig langen Schlangen abhalten lassen dürfen und doch durchhalten müssen, um meine Stimme abzugeben.
Insgesamt hatte ich also die Chance, Einfluss auf drei Wählerstimmen zu nehmen. Das ist natürlich nicht viel und hätte nichts bewirkt.
Doch wenn nur ein oder zwei Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik, mich eingeschlossen, nächstes Mal so etwas durchziehen würden, könnte das, multipliziert mit drei, beim Wahlergebnis Verschiebungen von drei bis sechs Prozent ergeben.
Dass uns das vor dem Schlimmsten bewahren wird, glaube ich hingegen jedoch leider nicht. Wir haben anscheinend kollektiv vergessen, wie der Weg zur Hölle aussieht. Deswegen werden wir ihn wohl noch einmal gehen müssen.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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In den vergangenen Jahren bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Wissenschaft ganz generell keinen Zugang zu den menschlichen Empfindungen besitzt. Sie kann sich zwar ihrer medizinischen Messmethoden bedienen, doch was ist, wenn gerade unsere wichtigsten Gefühle sich außerhalb dieses Spektrums befinden? Ich schiebe deswegen jedoch keinen Frust, ich fühle mich im Gegenteil sogar bestärkt darin, dass ich hier die entscheidende Rolle für mich selbst übernehmen muss.
Weniger angenehm ist es hingegen mit dem Rechtsanwalt, von dem ich mir eine Klageschrift eingefangen habe, in der steht: „Die Klage wird auf jeden erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt.“ Da überlege ich mir nämlich, wenn bei einem Streit die eine Seite alle erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkte für sich reklamiert, bleibt ja für die Gegenseite kein einziger rechtlicher Gesichtspunkt mehr übrig. Und als die Richterin dann auch noch genau in diesem Sinne urteilt, ist es bei mir nach dem unbedingten Glauben an die Wissenschaft auch mit dem Vertrauen in den Rechtsstaat vorbei.
Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die vorangegangenen neun Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021, 2022 und 2023.
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