Von Bernd Niquet
Kein neuer Tag ohne neue Lügen. Gerade sind es diejenigen von der Teilnehmerzahl der großen Demonstration der Bauern und des gesamten Mittelstandes am Montag in Berlin.
Ich hatte mich schon gewundert, dass es im Fernsehen keine Bilder von oben gab. Und jetzt sollen bei 6.000 Treckern und 179 vollbesetzten Reisebussen des Verbandes mit geschätzt 13.000 Menschen nur 8.500 bei der Demonstration gewesen sein.
Die Lügen werden wirklich immer schlechter und alles immer durchsichtiger. Aber vielleicht sind die Trecker alles selbstfahrende Fahrzeuge gewesen und von den anderen waren die meisten im Museum.
Es gibt allerdings auch schöne Erlebnisse. Ich glaube, so etwas habe ich noch niemals in meinem Leben erlebt wie diese Kolonne aus Treckern und LKWs, die sich da in der Nacht auf der Straße vor meinem Haus entlanggezogen hat.
Ich arbeite ja immer nachts und hatte die ersten Trecker bereits um kurz nach 3 Uhr gesehen. Um 5.20 Uhr ging es dann jedoch voll los, einer hinter dem anderen. Vom Balkon aus filme ich ein Video und merke bereits, wie sehr mich das emotional berührt, denn ich weiß ja, dass diese Leute letztlich auch für mich kämpfen.
Während der Kanzler und seine Regierung mittlerweile konsequent gegen die Interessen des Volkes agieren. Genauso absolutistisch wie früher Ludwig XVI. Und ich denke an die Landwirte Anthony Lee und Christian Lohmeyer, die in einem einzigen Satz mehr sagen als der Kanzler zusammengenommen in einem ganzen Jahr.
Die meisten dort unten müssen bestimmt die Nacht durchgefahren sein, um in Berlin ihre Forderungen vorzutragen, während der Finanzminister, der um die Ecke wohnt, sich sicherlich gerade im warmen Bettchen in der Tiefschlafphase befindet.
Ich fürchte zwar, zu spät zu kommen, dennoch ziehe ich mich an und gehe nach unten. In diesem Moment beginnt die Kolonne auch zu stocken. Denn im Ortskern von Zehlendorf wird es eng und die Polizei wird ja nicht alles absperren können.
Ich laufe an den Treckern, Lastwagen, Lieferwagen und Handwerkerautos vorbei, es scheint wirklich der komplette Mittelstand zu sein, der hier vorbei fährt, winke und klatsche Applaus. Endlich kann ich einmal meine Unterstützung zeigen. Und mir laufen Tränen der Rührung und Begeisterung herunter.
Insgesamt wird es schließlich anderthalb Stunden dauern, bis der Konvoi hier vorbei ist.
Plötzlich drängt sich in mir eine Analogie auf. Als Kinder haben wir nämlich auch immer einer Kolonne zugewunken, nämlich derjenigen der Amis, der US-Armee, die von ihren Kasernen aus in den Grunewald zum Manöver fuhren.
Mit allen Jeeps, Lastwagen und Panzern donnerten sie mitten durch Zehlendorf. Und die Ampeln wurden so geschaltet, dass sie ohne Verzögerung durchkamen. Heute scheint da eher das Gegenteil der Fall zu sein.
Wir Kinder im eingemauerten West-Berlin waren begeistert. Denn wir wussten, dass allein sie für unsere Sicherheit sorgten. Damals waren die Amis zu hundert Prozent die Guten. Und das hat sich auch danach noch lange gehalten.
Meine Enttäuschung beginnt dann jedoch bereits, als ich zurückgehe zu meiner Wohnung und sehe, dass niemand von den Totgeburten in meiner Wohnanlage auch nur Licht angemacht hat. Die haben wahrscheinlich bis in die Nacht hinein ARD und ZDF gesehen und haben jetzt Angst vor Nazis. Und was soll das auch alles, das Essen gibt es doch schließlich bei Aldi und nicht bei den Bauern.
Die Kundgebung wird dann auch eine Enttäuschung und ich schalte bereits vor der Rede von Christian Lindner ab. Der Bauernverband hat leider auch gravierende Fehler gemacht. Wäre diese Rede hier die erste gewesen und nicht erst am Nachmittag gekommen, wäre sicherlich alles anderes verlaufen.
https://www.youtube.com/watch?v=fZHPmoyABtM
Und wie geht es jetzt weiter? Kennt jemand Billy Bremner? Mit ihm bin ich groß geworden. Aber egal. Ich muss mich auf jeden Fall selbst fesseln, um nicht tätlich zu werden.
Wenn die Lügen über Habecks Fährbedrohung und die Wannseekonferenz 2.0 verglimmt sind, aber die AfD und Björn Höcke weiterhin da sind, könnte doch plötzlich ein Plan ans Licht kommen, nach dem auf einer verlassenen Insel in der Ostsee Migranten gefesselt für immer weggeschlossen werden. Oder bietet jemand noch mehr? Robert, du?
Hauptsache ist doch nur, dass die wirklichen Probleme nicht benannt und schon gar nicht gelöst werden.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
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Bernd Niquet, „Jenseits des Geldes. NEUNTER TEIL“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro
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Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt.
Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt.
Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein. Doch genau das traf ja zu. Wo war ich hier nur hineingeraten?
Dem stand allerdings auf der Habenseite entgegen, dass ich höchstwahrscheinlich der einzige Mensch in unserem Land bin, dessen Leben durch die Corona-Pandemie nicht negativ tangiert wurde.
Und wenn diese Leute hier mich dann auch noch gut finden würden, dann hätte ich wirklich etwas falsch gemacht in meinem Leben.
Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.
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